In so hohem Alter regelmäßig auf der Bühne stehen, drei eigene Theater führen, sich täglich mit Sport fit halten und zu allem eine starke Meinung haben – das macht ihm so schnell keiner nach. Dieter Hallervorden war und ist ein streitbarer Geist und ein Ausnahmekünstler. Müde ist er noch nicht. Im Gegenteil. Er hat noch viel vor, lässt er sein Publikum wissen.
Der Film Hallervorden – Didi gegen den Rest der Welt führt durch sein Leben. Er lässt uns teilhaben an sehr persönlichen Erinnerungen, bringt zum Lachen, zum Weinen und nicht zuletzt zum Nachdenken. Als Kind erlebte Dieter Hallervorden Bombenalarm und nächtliche Sirenen. Die Familie fand Schutz in Quedlinburg. Die Rückkehr in seine Geburtsstadt Dessau beschreibt er als Schockerlebnis. Beim Anblick der völlig zerstörten Stadt sei etwas in ihm zerbrochen. Da wundert es kaum, dass Frieden für ihn nicht verhandelbar ist.
Bild: Dieter Hallervorden, Sahra Wagenknecht, Wasim Taha (September 2025, Foto: McNamara, CC BY 4.0)
Hallervorden studierte zunächst Romanistik, später dann in Berlin Schauspiel. Bereits als junger Mann sehr meinungsstark, floh er 1958 vor der Staatssicherheit nach Westberlin. Dort begann er seine Karriere mit der Gründung des Theaters Die Wühlmäuse und spielte zunächst politisches Kabarett. In den 1970ern gelang ihm mit der satirischen Fernsehserie Nonstop Nonsens der Durchbruch. Mit seiner Didi-Figur aus den gleichnamigen Kinofilmen erlangte er Kultstatus. Allerdings sollte er im Verlauf seiner Kariere verzweifelt dagegen ankämpfen, als Schauspieler und Privatperson auf diese Rolle reduziert zu werden. Helge Schneider sagt:
Er wollte raus aus diesem Käfig!
Wir erfahren, wie der Schauspieler über viele Jahre versuchte, den Didi-Stempel loszuwerden, und dass er sich wünschte, auch für ernsthafte Rollen in Betracht zu kommen. Für dieses Ziel war er zielstrebig, konsequent und bereit, jedes Angebot abzulehnen, das dies nicht ernst nahm.
Im Film kommen Weggefährten zu Wort, viele Kollegen, manche davon selbst höchst prominent: Katharina Thalbach, Otto Waalkes, Helge Schneider, Frank Lüdecke, Guido Cantz, Frank Effenberg – sie alle beschreiben Hallervorden als starken Charakter. Für viele war er Leitfigur. Katharina Thalbach zum Beispiel spricht von einem gewieften Schauspieler mit enormer Disziplin. Und Frank Lüdecke, langjähriger Spielpartner, schreibt ihm Ehrgeiz und Perfektionismus zu.
Für die Dokumentation besucht Hallervorden Plätze aus seiner Kindheit in Dessau, Drehorte, Partner und Kollegen. Seine älteste Tochter Nathalie beschreibt ihren Vater als einen Menschen, der wahnsinnig getrieben ist und sehr ehrgeizig sowie ein großer Kämpfer. Gemeinsam mit ihr leitet Dieter Hallervorden das 2008 übernommene Schlossparktheater in Berlin-Steglitz. Für seinen Sohn Johannes, der seit 2022 das Theater am Frankfurter Tor in der Berliner Karl-Marx-Allee leitet, sind die Meinungs- und Durchsetzungskraft des Vaters prägende Eigenschaften. Beide Kinder zeichnen sehr gefühlvoll und ehrlich ein Bild, das durchaus auch kritische Töne hat.
Dass ihr Vater in der DDR mit Unfreiheit aufwuchs, sagt Tochter Nathalie, erkläre seine Allergie in Sachen Bevormundung. Hallervorden selbst stützt diese Analyse und erinnert sich, in der DDR die Meinungsfreiheit am meisten vermisst zu haben. Rückblickend prangert er eine gleichgeschaltete Presse an, die Überwachung durch die Stasi und
das ständige Gefühl, beobachtet zu sein und kritisiert zu werden und unter Umständen auch dafür bestraft zu werden, dass man eine Meinung hatte, die der gängigen Meinung der Staatsführung nicht entsprach.
Die Erfahrungen in und mit unterschiedlichen Systemen haben Dieter Hallervorden zu einem politisch engagierten Menschen gemacht. Zu seiner ohnehin starken Persönlichkeit kommt nun auch noch sein ungewöhnlich hohes Alter. Frank Lüdecke fasst das so zusammen:
Er genießt es auch, in einem Alter zu sein, wo er einfach machen kann, was er will. Er hält sich an gar nichts mehr!
Als ihm ein Privatsender in den 1990ern zur Vertragsverlängerung einen Maulkorb für politische Statements anlegen wollte, verzichtete Hallervorden und wechselte kurzerhand den Arbeitgeber. Nicht ohne in einer Talkrunde schmunzelnd aus dem Grundgesetz zu zitieren:
Eine Zensur findet nicht statt!
Trotzdem gerät Dieter Hallervorden durch politische Äußerungen immer wieder in die Schlagzeilen. Als öffentliche Person, politischer Beobachter und kritischer Geist liegt er hin und wieder etwas neben dem Strom. Dabei scheint nicht ganz klar, ob ihm ab und an wirklich die Sensibilität für den richtigen Moment fehlt (schwer vorstellbar) oder ob er die Konfrontation bewusst in Kauf nimmt, um seine Kritik anzubringen und seinem Ärger Luft zu machen. In jedem Fall hat er klare Botschaften. Dass diese auch zu Missverständnissen führen können, ist das Risiko von lauten Statements.
Das ARD-Portrait bringt uns auch den Menschen Hallervorden nahe. Mit seinem Sohn besucht er den Wörlitzer Park und erzählt voller Stolz von seinem Großvater, der seinerzeit als Gartenarchitekt verhinderte, dass die Synagoge von den Nazis komplett zerstört wurde. Die Kamera begleitet ihn zu seiner kleinen Insel in Nordfrankreich und in das Haus, wo der Sohn einen Großteil seiner Kindheit verlebte. Einem Maskenbildner bietet Hallervorden beim Wiedersehen nach Jahrzehnten mit einer herzlichen Umarmung das Du an.
Nicht unwichtig: Der Film fördert längst vergessenes Archivmaterial zu Tage. Jahrzehnte deutscher Unterhaltungsgeschichte. Sketche, Filme und Songs, die Kultstatus erlangten. So die berühmte Telefonszene, in der Hallervorden mit Frank Lüdecke versucht, die Situation ernsthaft zu Ende zu spielen. Sie scheitern, da sie vor Lachen nicht an sich halten können. Hallervorden beim Kampf um ein ernsthaftes Gesicht zu beobachten, ist brüllend komisch.
2014 erhielt er für den Film „Sein letztes Rennen“ den Deutschen Filmpreis. Dort spielt er einen betagten Marathonläufer, der bereits im Pflegeheim ist und für ein Comeback trainiert. „Honig im Kopf“, eine Alzheimer-Geschichte, brachte ihm 2015 den Österreichischen Film-und Fernsehpreis. Bereits Ausschnitte lassen die Augen feucht werden. Dieter Hallervorden und das ernsthafte Fach? Aber ja doch!
Dieter Hallervorden möchte „sich nicht den Mund verbieten oder das Rückgrat verbiegen lassen“. Seine Meinung hält er nicht zurück, er provoziert und macht sich damit nicht nur Freunde. Auch davon erzählt dieser Film. Ganz ohne Zeigefinger kommt er allerdings nicht aus. Hallervordens Äußerungen jenseits der politischen Korrektheit dürfen nicht für sich stehen. Das kennt man aus dem Theater: Sobald ein Harlekin die Bühne betritt, um Konventionen über Bord zu werfen, lässt auch der Moralapostel nicht lange auf sich warten. Hier kommt er in Person von Carolin Kebekus daher, die zumindest klarstellen muss, dass sich so ein Verhalten nun mal nicht ziemt. Absolut entbehrlich.
Trotzdem überwiegt beim Film von Simon Tanschek und Lukas Hoffmann der Genuss. Es macht große Freude, Dieter Hallervorden begleiten zu dürfen. Was er sich zum 90. wünscht? In einer Hauptrolle auf der Bühne stehen, was sonst. „Der eingebildet Kranke“ nach Moliere läuft noch bis 19. Oktober im Schlossparktheater Berlin.
Brit Gdanietz ist Schauspielerin und Sprecherin und hat am Kompaktkurs Journalismus an der Freien Akademie für Medien & Journalismus teilgenommen.
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