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Lebensgeschichten | 06.11.2025
Erich mochte mich
Günter Schabowski steht seit dem 9. November 1989 im kollektiven Weltgedächtnis. Ein Gespräch über seinen Weg vom Journalismus in die Politik.
Text: Michael Meyen
 
 

Den 28. Mai 2010 werden ich nie vergessen. Interviewtermin bei Günter Schabowski in einer 80-Quadratmeter-Wohnung in Berlin-Wilmersdorf. Der Hausherr ist nach einer Herzoperation und einem Schulterbruch noch sichtlich angeschlagen. Er trägt den rechten Arm in einer Binde, kann nicht schreiben und unterbricht das Gespräch mehrmals wegen Muskelschmerzen. Eigentlich aber will er gar nicht reden, vor allem nicht über den Journalismus in der DDR. Das Zentralkomitee der SED habe seine Linie schließlich überall durchgesetzt – mit zum Teil „kabarettreifen“ Anordnungen und „grotesken“ Sprachregelungen. Am Ende besteht Schabowski darauf, eine Liste mit Tabus und Hinweisen vorzulesen, die ich längst kenne, weil sie zum Einmalseins jedes Medienhistorikers gehört.

Eingebrannt haben sich bei mir vor allem der Preis für das Gespräch und seine Begleitumstände. Schabowski will Geld. Die Medikamente sind teuer und überhaupt. Ich lerne: Die Prominenz, die mit dem 9. November 1989 verbunden ist, lässt sich zu Geld machen. Anders als Konzernjournalisten habe ich keine Kasse. Wir einigen uns auf ein symbolisches Honorar. 200 Euro, von mir privat zu bezahlen. Richtig motiviert ist Schabowski dadurch nicht, zumal er nicht über die Maueröffnung reden darf. Er lässt die ganze Zeit Phoenix leise mitlaufen und schaut immer wieder auf den Bildschirm. Auch die Autorisierung war schwierig. Schabowski stieß sich vor allem an der Form und meinte, es stimme zwar einiges, er hätte aber viele Dinge nicht oder anders erzählt, wenn ihm klar gewesen wäre, was daraus werden würde. „Machen Sie damit, was Sie wollen. Das kann ich ohnehin nicht kontrollieren.“

Lebensweg

Geboren 1929 in Anklam. Vater Klempner. Hitlerjugend. 1946 Abitur in Berlin. Journalistenlaufbahn. Volontariat (1946, Die freie Gewerkschaft). 1947 Tribüne (FDGB). Hilfsredakteur, Abteilungsleiter (Gesamtdeutsche Gewerkschaftspolitik), stellvertretender Chefredakteur (1953 bis 1967). 1950 Eintritt in FDJ und SED. Fernstudium in Leipzig. 1962 Diplomjournalist. 1967/68 Parteihochschule in Moskau. Anschließend Wechsel zum Neuen Deutschland. Zunächst stellvertretender Chefredakteur, 1974 Erster Stellvertreter, 1978 bis 1985 Chefredakteur. 1981 Kandidat, 1984 Mitglied des Politbüros des ZK der SED. 1985 1. Sekretär der Bezirksleitung Berlin. 1986 ZK-Sekretär. 1981 bis 1990 Volkskammerabgeordneter. 1990 Parteiausschluss. 1997 drei Jahre Haft wegen Totschlags (Schießbefehl an der Mauer). 1992 bis 1999 Redakteur der Heimat-Nachrichten in Rotenburg. Autobiografisch geprägte Veröffentlichungen: Das Politbüro (1990), Der Absturz (1991). Wir haben fast alles falsch gemacht – Die letzten Tage der DDR. Günter Schabowski im Gespräch mit Frank Sieren (2009). Verheiratet, zwei Kinder. Gestorben 2015 in Berlin.

Bildbeschreibung Bild: Günter Schabowski am 5. Juni 1987 in der Berliner Husemannstraße. Gefeiert werden rekonstruierte Gebäude. Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1987-0605-039, Gabriele Senft, CC-BY-SA 3.0

Wie haben Sie das Kriegsende erlebt?

Das Kriegsende? Mein Gott. Das ist über 60 Jahre her. Wie soll ich mich daran erinnern. Können Sie konkreter fragen?

Wissen Sie noch, welche Idee Sie mit dem Journalistenberuf verbunden haben, als Sie Volontär geworden sind?

Mit solchen Fragen habe ich nicht gerechnet. Ich bin auf die Endphase eingestellt. Sicherlich irgendwelche Idealvorstellungen. In der Welt herumkommen, über alles Mögliche berichten. Warum wollen Sie das wissen?

Um zu verstehen, wie man Chefredakteur des Neuen Deutschland wird.

Meine journalistische Phase habe ich hinter mir gelassen. Ich habe mich natürlich mit dem kommunistischen Journalismus auseinandergesetzt. Mit den Endprodukten. Dazu können Sie mich befragen. Aber nicht, wie ich zum Journalismus gekommen bin. Das weiß ich doch gar nicht mehr.

Das wissen Sie nicht mehr?

Ich hatte natürlich ein gewisses Interesse. 1945 schien ja alles möglich. Ich wollte Distanz gewinnen und ins Ausland. Was sollte man sich als junger Mensch sonst vom Journalismus vorstellen? Internationale Resonanz, internationale Beziehungen.

Dafür war eine Gewerkschaftszeitung nicht gerade der optimale Ort.

Natürlich nicht, nein. Theoretisch konnte man schon ins Ausland. Dann, als stellvertretender Chefredakteur. Ich habe ja als Volontär angefangen und meine Karriere erst allmählich aufgebaut. Aber ohne Berechnung. Das ist einfach so gekommen.

Waren Ihre Eltern damals stolz auf den Tribüne-Redakteur?

Sie waren stolz, dass ihr Junge eine journalistische Qualifikation hatte und sich sprachlich behaupten musste.

Manche Eltern haben ihre Kinder nach dem Dritten Reich vor dem Journalismus gewarnt, weil sie nichts mehr mit Politik zu tun haben wollten.

Ganz im Gegenteil. Wir waren ja der Meinung, in die Politik gehen zu müssen, um eine Wiederholung auszuschließen. Wir hatten schließlich eine besondere Abscheu vor dem politischen Missbrauch.

Waren Sie gern Journalist in der DDR?

Ich war gern Journalist, ja.

Warum lassen Sie die DDR weg?

Weil das am Anfang keine so große Rolle spielte. DDR oder sonst wo. Wir kamen mit dem Anspruch, eine bessere Politik machen zu können. Nicht instrumentalisiert werden, uns nicht missbrauchen lassen.

Bildbeschreibung Bild: Manfred von Ardenne, Gesundheitsminister Klaus Thielmann und Günter Schabowski bei der 10. Volkskammertagung am 24. Oktober 1989. Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1989-1024-031, Rainer Mittelstädt, CC-BY-SA 3.0

Viele meiner Interviewpartner haben gesagt, dass der Spielraum in den 1950er und 1960er Jahren größer gewesen sei als später. Sehen Sie das auch so oder haben Sie sich schon bei der Tribüne reglementiert gefühlt?

Ich habe mich überhaupt nicht reglementiert gefühlt, obwohl die Reglementierung natürlich da war. Die Tribüne hat keinen x-beliebigen Journalismus zugelassen. Das musste schon den gewerkschaftlichen Interessen entsprechen und den Zielen der DDR.

Und warum fühlt man sich da nicht reglementiert?

Weil man in der Illusion lebte, man sei unabhängig. Als Mensch und als Journalist. Ich habe Unabhängigkeit damals nach völlig anderen Kriterien definiert als Sie heute. Ich war ein überzeugter Journalist und ein gläubiger Kommunist.

Bildbeschreibung Bild: 21. Oktober 1989 in Berlin. Dialog ist das Gebot der Stunde. Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1989-1021-018, Robert Roeske, CC-BY-SA 3.0

Wären Sie auch zum ND gegangen, wenn es in der DDR eine freie Arbeitsplatzwahl gegeben hätte?

Ich weiß gar nicht, ob diese freie Wahl für mich wichtig war. Das ND verkörperte eine besondere Art von Journalismus. Bewusster politischer Journalismus mit begabten Leuten. Auch politisch begabt. Ich habe nie spekuliert, dorthin zu kommen. Die Frage stellte sich schon deshalb nicht, weil man delegiert wurde. Sie bringen mich jetzt in Verlegenheit. Ich war doch auf einer Parteischule?

In Moskau, 1967/68.

Ja, richtig. Ein kurzer Lehrgang, vier Monate. Man wusste nicht einmal genau, wofür man sich qualifizierte. Für eine Parteilaufbahn oder für die Medien. Am Ende kam eine Kommission der Abteilung Agitation nach Moskau und sagte: Der ist relativ begabt, den können wir gebrauchen. Ich bin gar nicht mehr zur Tribüne zurückgegangen.

Haben Sie sich geehrt gefühlt?

Ich war schon stolz, dass sie mich für so wertvoll gehalten haben. Man muss natürlich dazu sagen, dass es beim Neuen Deutschland einen ganzen Haufen von stellvertretenden Chefredakteuren gab. Sie kennen den Witz, den wir uns immer erzählt haben?

Welchen Witz?

Den vom Bankett, an das keiner mehr rankam, wenn die stellvertretenden Chefredakteure vom ND aufgestanden sind. So viele waren das. Ich hatte da also keine besonders wichtige Funktion. Mein Thema war die Nationale Front. Nicht Außenpolitik, nicht Wirtschaft. Also ziemlich unbedeutend und auch ziemlich mühselig.

Wie war die Atmosphäre in der Redaktion?

Ganz anders als bei der Tribüne. Beim ND waren die besten Journalisten der DDR, und das wussten diese Redakteure. Die waren vom Erlesenheitsgrundsatz erfüllt. Überhaupt nicht zu vergleichen mit dem Morgen, die Zeitung der Liberaldemokraten, die Sie ja auch untersuchen. Ich erinnere mich an Hajo Herbell. Ein echtes Vorbild für Typen wie mich, die das erste Mal hochqualifizierte Leute erlebten. Journalistisch qualifiziert und politisch qualifiziert. Keine sturen Politochsen, sondern immer auch Journalisten.

Was war für Sie damals guter Journalismus?

Ach Gott. Das kann ich gar nicht mehr sagen. Außer Herbell kann ich noch Günter Kertzscher nennen, der seine Nazivergangenheit durch journalistische Qualität überspielt hat. Ein Säulenheiliger, durch seine Begabung als Schreiber. Was hatten Sie noch mal gefragt?

Was für Sie guter Journalismus war. Wann ist Günter Schabowski zufrieden nach Hause gegangen?

Wenn er seine Sachen selbst machen konnte. Es gab ja in der Redaktion Leute, die alleine nicht einmal 100 Zeilen pfiffigen Journalismus zustande bekamen. Auch bei den Stellvertretern.

Was heißt allein?

Qualifizierter Journalismus war, wenn man seine eigene Argumentation entwickeln konnte. Mit eigenen Beispielen, mit einem eigenen Stil. Ein Stil, der für Leute wie Herbell oder Kertzscher akzeptabel war.

War das für Sie wichtig?

Wenn solche Leute einen Kommentar abnickten, dann wusste ich, das Ding ist einigermaßen gelungen. Selbst wenn der Artikel nur die Nationale Front behandelt. Ich will die anderen Stellvertreter nicht abwerten, aber das war sicher der Grund, warum ich an ihnen vorbeigezogen bin. Sie waren einfach nicht so journalistisch wie ich.

Wie haben Sie damals die Praxis der Anleitung und Kontrolle erlebt?

Wie meinen Sie das?

Kann man als Parteijournalist eine eigene Argumentation entwickeln?

Kommunisten sind Großideologen. Immer. In einer Kommunistischen Partei können Sie deshalb alles werden. Theaterintendant, Zoodirektor, Journalist. Sie sind und bleiben in erster Linie Ideologe. Danach werden Sie auch bewertet. Von sich selbst und von anderen.

Hat sich mit dem Wechsel von Ulbricht auf Honecker der Umgang der Parteiführung mit dem ND geändert?

Ganz ohne Zweifel. Ulbricht, das war der normale Parteistil. Journalisten waren schon wichtig, aber nicht wirklich groß. Das hat sich unter Honecker geändert, weil er meinte, eine besondere Beziehung zum Journalismus zu haben. Er war ja Arbeiterkorrespondent im Saarland und hat sich deshalb auch für besonders qualifiziert gehalten. Ich bin gerade etwas irritiert durch Ihr Nicken. Wer hat Ihnen das denn erzählt?

Bildbeschreibung Bild: Erich Honecker im September 1987 im Saarland. Rechts neben ihm: Peter Neuber, Oberbürgermeister von Neunkirchen. Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1987-0910-052, Klaus Oberst, CC-BY-SA 3.0

Sie selbst in Ihrem Buch mit Frank Sieren. In den Akten im Bundesarchiv kann man außerdem sehen, dass Honecker schon in den 1960er Jahren anfängt, sich in die Medienarbeit einzumischen.

Unter Ulbricht konnte man noch nicht wissen, was alles in ihm steckte. Da war er der zweite Mann. Mehr nicht. Die journalistischen Neigungen konnte Honecker erst entfalten, als er selbst Generalsekretär wurde. Er wähnte sich da auch den Genossen von den Bruderparteien überlegen und dachte, außer ihm habe niemand wirklich Ahnung von den Medien.

Hatten Sie eine Vision, als Sie 1978 Chefredakteur wurden? Wohin wollten Sie das ND entwickeln?

In Richtung Journalismus natürlich. Nun können Sie fragen, was das in einer kommunistischen Parteizeitung bedeutet. Reportageseiten, kürzere Kommentare. Graduelle Unterschiede, über die man eigentlich gar nicht reden braucht. Ein Zentralorgan bleibt ein Zentralorgan. Da kann man sich keine besonderen Manschetten erlauben, selbst wenn der Generalsekretär an etwas mehr Journalismus interessiert ist.

Bildbeschreibung Bild: Volkskammertagung im November 1989. Günther Maleuda (Bauernpartei), Manfred Gerlach (LDPD) und Egon Krenz (von links). Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1989-1113-027, Rainer Mittelstädt, CC-BY-SA 3.0

Manfred Gerlach, Chef der Liberaldemokraten, hat sich in seinen Memoiren gewundert, dass ein so kluger Mann wie Sie mit Joachim Herrmann befreundet gewesen ist. Können Sie das auflösen?

Ich bemühe mich. Mein Aufstieg im Neuen Deutschland hängt mit ihm zusammen. Joachim Herrmann war auch jemand, der das Journalistische stärken wollte. Schon als Chefredakteur der Berliner Zeitung. Mein Ehrgeiz war die Entsprechung. Herrmann war kein Idiot. Das muss man erst einmal festhalten. Ohne journalistische Begabung wäre er nicht Agitationssekretär geworden.

Das klingt nach Bewunderung.

Überhaupt nicht. Ich habe das zur Kenntnis genommen. Punkt. Ein Elektromonteur, der sich ohne spezielle Qualifikation in so einer Redaktion behauptet.

Er hatte Honecker hinter sich.

Die beiden kannten sich ewig. Als er noch bei der FDJ war, kam Honecker immer mit dem Auto am Treptower Park vorbei und nahm Herrmann mit, der dort wartete. Daraus hat sich eine Abhängigkeit entwickelt. Herrmann war Waise und hat in Honecker einen Ersatzvater gesehen.

Also eine Art Familienseilschaft.

Honecker wurde mächtiger und hat dafür gesorgt, dass der junge Bursche in entsprechende journalistische Funktionen kam. Die beiden haben sich am Ende blind vertraut. Freundlichkeit und Förderung gegen Anpassung und Ergebenheit. Ich habe diese Abhängigkeit nie besessen und war Herrmann deshalb zeitweilig sogar überlegen.

Hat sich Ihre Beziehung geändert, als Sie Chefredakteur wurden und er Agitationssekretär?

Nicht entscheidend. Es war sogar charakteristisch, dass ich mir erlaubte, etwas unbefangener Bemerkungen zu machen. Honecker holte uns beide jede Woche nach der Politbürositzung in sein Büro. Mich hat er nach dem Neuen Deutschland gefragt und Herrmann nach der Aktuellen Kamera. Und dann hat er mich häufig gegen ihn ausgespielt.

Wie das?

Er hat gefragt, was ich von der Spitzenmeldung halte und ob ich für den nächsten Beitrag auch 30 Sekunden reservieren würde. Herrmann hat unbesehen akzeptiert, wenn ich anderer Meinung war. Jeder andere Parteifunktionär wäre stocksauer gewesen.

Wie passt das zu der Vater-Sohn-Geschichte?

Für Herrmann war das ganz normal. Honecker hatte ja gesagt, wie es zu machen ist. Er mochte Herrmann, schätzte ihn aber nicht besonders. Vor allem gefiel ihm nicht, dass Herrmann alles einfach so in Kauf nahm.

Bildbeschreibung Bild: 1987 in Berlin – SPD trifft SED. Links: Reinhold Kopp (Staatskanzleichef im Saarland), Oskar Lafontaine, Klaus Wedemeier (Bürgermeister in Bremen) und Klaus von Dohnanyi (Bürgermeister in Hamburg). Rechts: Joachim Herrmann neben Erich Honecker, Herrmann Axen, Günter Mittag und Gunter Rettner (Abteilungsleiter im ZK). Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1987-1023-044, Rainer Mittelstädt, CC-BY-SA 3.0

Wer hat Sie als Chefredakteur angeleitet? Honecker? Herrmann?

Ich habe das gar nicht so empfunden. Ich war unabhängig. Ich habe meine Meinung auch gegenüber Honecker vertreten können, und niemand hat mir etwas getan. Weder Honecker noch Herrmann. Mit Honecker hatte ich schon ein Vorzugsverhältnis. Er hat gemerkt, dass ich nicht nur Parteifunktionär bin, sondern auch Journalist, und dass man mir nicht hineinzureden braucht.

Was ist mit der Agitationskommission?

Dort saß ich ja gleichberechtigt neben Heinz Geggel von der Abteilung Agitation, als zweiter Mann. Er war ZK-Mitglied und ich war ZK-Mitglied. Ich brauchte Geggel nicht, um an irgendwelche Informationen zu kommen.

Und das Ministerium für Staatssicherheit? Im Gespräch mit Frank Sieren haben Sie gesagt, dass der Geheimdienst nur in Ausnahmefällen ohne Wissen der Agitationskommission in die Medieninhalte eingegriffen hat. An welche Ausnahmen haben Sie da gedacht?

Das weiß ich nicht mehr. Wichtig ist, dass jeder Affe eingreifen konnte, aber die Staatssicherheit erstaunlicherweise nicht. Das wäre gegen die Parteihierarchie gewesen. Das Neue Deutschland ging nur den Generalsekretär etwas an. Das MfS sollte sich um seine eigenen Sachen kümmern, um die Technik zum Beispiel oder um die Druckereien. Direkte Anleitung war da nicht möglich. Darauf hat Honecker schon geachtet.

Wie haben Sie die Journalisten gesehen, als Sie endgültig auf die andere Seite gewechselt sind? Haben Sie versucht, in Ihre alte Redaktion hineinzuregieren?

Ich bin ja letztlich durch Honecker ins Politbüro gekommen, auch wegen dieser Gespräche mit ihm und Herrmann. Dadurch habe ich Profil gewonnen und Unabhängigkeit. Ich will das alles nicht zu hoch hängen, aber ich habe dann schon versucht, journalistische Qualifikation aufzuwerten.

Bildbeschreibung Bild: Günter Schabowski am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz. Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1989-1104-455, Peer Grimm, CC-BY-SA 3.0

Haben Sie heute eine Erklärung dafür, dass die Medien für die DDR-Führung so wichtig waren?

Die DDR hat von der Ideologie gelebt. Die Medien waren der Apparat, der diese Ideologie transportieren sollte und den die SED vor allem direkt beeinflussen konnte. In den anderen kommunistischen Parteien hatte das längst nicht diesen Rang. Das hat immer auch mit dem Medienverständnis des ersten Mannes zu tun.

Mit Erich Honecker, der selbst kleinste Meldungen redigierte.

Das hat ihm Spaß gemacht. Er wollte gern selbst Journalist sein. Er wusste einerseits, dass er gigantisch überlegen ist, war sich aber andererseits nicht zu schade, einen Artikel oder einen Kommentar zu schreiben. Er hat auch akzeptiert, wenn ich ihn redigiert habe.

Sie durften Honecker redigieren?

Wir haben harmoniert, wenn man so will. Wir haben seine Kommentare korrigiert und dann zu ihm rübergeschickt. Er war ja etwas ungelenk und nicht sehr geübt.

Wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten: Gibt es etwas, was Sie als ND-Chefredakteur oder als Mitverantwortlicher für die Medienlenkung anders machen würden?

Alles Mögliche, selbst unter kommunistischer Herrschaft. Eine völlig andere, lockere Zeitung und was weiß ich. Das ist aber leicht gesagt. Es lag ja in meinem eigenen Interesse, den Machtstrukturen zu entsprechen. Sonst hätte ich mir selbst geschadet. Die Lockerungen, die wir uns damals überlegt haben: Das war das, was unter den Bedingungen der SED-Herrschaft möglich war.

Erstveröffentlichung in Michael Meyen, Anke Fiedler: Die Grenze im Kopf. Berlin: Panama Verlag 2011.

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Bildquellen: Günter Schabowski am 28. Februar 2007 in Homburg. Foto: Heiko Engelke, CC-BY-SA 3.0