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Medien-Tresen | 25.07.2025
Das unmögliche Interview
Das Sommerinterview der ARD mit Alice Weidel bestimmt die Schlagzeilen der Woche. Die Reaktionen der Medien – sprachlich oft ein Genuss – im Überblick.
Text: Aron Morhoff
 
 

„Unfassbar“: Boris Reitschuster war der wohl vorsätzliche Interview-Eklat sogar ein Comeback wert. Seit vielen Monaten hatte der ehemalige Russlandkorrespondent des Focus kein Video mehr hochgeladen. Wer sich bereits gewundert hatte, ob da jemals noch was kommt, wurde am Wochenende beruhigt: Reitschuster musste nur mal wieder richtig wütend werden, um sich zurückzumelden. „Unfassbar“ also, was er da gesehen hat. Er bewundere Alice Weidel – auch wenn man diese nicht lieben müsse – für die Contenance, mit welcher sie diese Sendung über sich ergehen lassen habe. Da die Störaktion unangemeldet war, wirft Reitschuster die Frage auf, wie lange eine unangemeldete Corona-Demo wohl gebraucht hätte, bis sie von der Polizei aufgelöst worden wäre. Auch denkt Reitschuster laut darüber nach, ob die Information über die Aufzeichnung den Aktivisten wohl gesteckt wurde – eine Annahme, die sich inzwischen bestätigt hat. Propaganda und Umdrehung erinnerten Reitschuster an autoritäre Staaten. Der abendliche Tagesschau-Bericht sei „Propagandafernsehen wie aus der DDR“ gewesen.

In den Morgennachrichten von Tichys Einblick wird das Sommerinterview als „blamabel für die ARD“ beschrieben. Gegen Weidel hätten in Berlin „linksfaschistische Störer“ und „Omas ohne Opas“ angeschrien. Die Journalistin Brunhilde Plog fährt auf der Webseite fort: „Ein Sommerinterview wie eine Sommerfrechheit“ und „ein erbärmliches Stück Journalismus“, sowie „eine plump inszenierte Verhöhnung“. Wie einst beim „Heißen Stuhl“ im Privatfernsehen wolle man AfD-Vertreter inzwischen nur noch „grillen, bis der Gast fliegt“. Für die Erwähnung der ideologischen Codes „gesichert rechtsextremistisch“ und „Gefahr für die Demokratie“ habe es keine 40 Sekunden gedauert.

Auch Focus-Chefautor Thomas Tuma ließ sich in seinem Kommentar über das Interview zu keiner diplomatischen Sprache hinreißen. Nun wisse man, dass die ARD und Hauptstadtstudio-Leiter Markus Preiß ihr ganzes Unvermögen in das Projekt steckten, der AfD noch mehr Wähler zuzuschanzen. Den Gegenprotest bezeichnete er als „linken Flashmob“. Auch für den zunehmend konservativen Focus deutlich konstatiert Tuma:

Eine Partei wie die AfD kann nur dort stark werden, wo die anderen schwach wirken. Gestern hat man mal erleben können, wie klein, ängstlich und dabei überraschend armselig die deutsche Debattenkultur geworden ist – samt gebetsmühlenartigem „Scheiß-AfDeeee“-Geschrei und einer mit rund sieben Milliarden Euro jährlich gepamperten öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt, die an ihrer eigenen Haltung zu ersticken droht.

Bei NIUS war es Ex-Cicero-Redakteur Alexander Kissler, der sich berufen fühlte, seinem Unmut freien Lauf zu lassen. Für Kissler hat sich die ARD am Sonntag „zu Grabe getragen“ – dreißig Minuten hätten gereicht, um den ÖRR „zur Kenntlichkeit zu entstellen“. Kissler weiter:

Wenn Imperien kollabieren, gehen sie oft an inneren Widersprüchen zugrunde. Und es braucht verdichtete Wendepunkte. Beides lieferte die ARD mit dem Sommerinterview. Der Widerspruch ist nicht zu kitten – der Widerspruch zwischen behaupteter Objektivität und gelieferter Parteilichkeit, übrigens auch in den Einspielern; der Widerspruch zwischen reklamierter Meinungsvielfalt und praktizierter Meinungsmonotonie.

Eine Spur von Süffisanz und Schreibfreude liest man bei Kissler dabei heraus, etwa in diesen Zeilen über den Gegenprotest: das „Anti-AfD-Lied eines Augsburger Aktivistischen FLINTA*-Chors“. Wobei das nicht einmal überspitzt war – das ist wirklich deren Selbstbezeichnung.

AfD-Sprechorgan Compact widmete dem Skandalinterview eine ganze Sendung, warb für die Alice-Weidel-Kanzlermünze im Shop und fasste zusammen:

Selten hat sich die Sympathie zwischen Öffentlich-Rechtlichen und Antifa so deutlich gezeigt wie beim ARD-Sommerinterview mit Alice Weidel.

Ex-RT- und heute Compact-Redakteur Dominik Reichert ging auf die mutmaßlich absichtlich verursachten Tonprobleme ein. Es wäre, so führte er aus, überhaupt kein Problem gewesen, die Hintergrundgeräusche so rauszufiltern, dass das Gespräch verständlich geblieben wäre.

Dass dies der Wahrheit entspricht, stellte der Kontrafunk unter Beweis, der das Sommerinterview (über dessen eigentlichen Inhalt weder der Großteil der Kommentatoren sprach noch dieser Beitrag ein Wort verliert) ohne Störkulisse auf seiner Webseite zur Verfügung stellte. Wen das eigentliche Gespräch also interessiert und wer sich den Verhörjournalismus vom Staatsfunk antun möchte, der hat hier die Möglichkeit dazu.

Fazit: ein Nicht-Interview also, das mindestens in die Jahreschronik eingeht und wegen seines Scheiterns und der immer plumperen Staatspropaganda in Erinnerung bleiben wird. Wäre es nicht aus gewisser Sicht auch urkomisch und herrlich absurd, wäre es beängstigend: Zehn Millionen Zuschauer sind noch Opfer des Bewusstseinsmanagements eines vollkommen freidrehenden Zwangsapparates.

Bleibt noch zu erwähnen, dass Bild-Vize Paul Ronzheimer wenige Stunden nach dem Vorfall Philipp Ruch im Gespräch hatte, den Initiator des Stör-Protestes. Ruch schildert dort nonchalant, die Aktion habe „in enger Kooperation mit der ARD“ und in „enger Absprache mit der Berliner Polizei“ stattgefunden. Weiter: „So konnten wir eigentlich machen, was wir vorhatten.“

Aron Morhoff studierte Medienethik und ist Absolvent der Freien Akademie für Medien & Journalismus. In seiner Liveshow "Addictive Programming" geht es um Popkultur, Medienkritik und Bewusstseinserweiterung.

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Bildquellen: Screenshot: ARD-Sommerinterview