„Man kann beobachten, dass viele Studien zur Coronaimpfung sich erst zur Wirkung bekennen, bevor die Forschungsergebnisse – auch negative – publiziert werden. Das kann man als religiöses Bekenntnis empfinden. Um nicht als Ketzer dazustehen, schreibt man, dass die Ergebnisse nur zum Verbessern der Impfung anregen sollen.“ Dr. Erich Freisleben begegnet mir auf der Freitreppe des sächsischen Landtags. Am Donnerstag fand dort die fünfte Sitzung des Corona-Untersuchungsausschusses statt.
Der Ausschuss überprüft die Maßnahmen, die Sachsen zwischen 2020 und 2024 ergriffen hatte. Zu diesem Termin sind Christian Drosten und Tom Lausen geladen. Drosten ist bereits zum zweiten Mal da. Da noch Fragen offenblieben, wird er auch zu einem dritten Termin kommen.
Bei der Sicherheitskontrolle höre ich eine ältere Frau: “Das hier ist politische Bildung.” Sie deutet auf ihre Enkelin, ihre Tochter steht daneben. Später sitzen die drei hinter mir, und die ältere Dame holt ihr Strickzeug raus. Ein einzelner Mann sitzt bereits im Plenarsaal. Auf den zweiten Blick erkenne ich Drosten. Die Tribüne füllt sich, mehrere Paare, junge und alte Leute, ein Brandenburger AfD-Politiker, Journalisten finden sich ein und bauen ihre Kameras auf. Drosten begrüßt derweil den Ausschussvorsitzenden, einige Abgeordnete schütteln ihm die Hand.
Deutschland sei insgesamt gut durch die Pandemie gekommen, sagt er dann, als es losgeht, und zeigt anhand von RKI-Statistiken, wie viele Coronainfizierte auf wie viele Coronatote kommen. Wir sehen, dass die Kurven der Sterblichkeit und der Fallzahlen nach Impfbeginn deutlich auseinanderdriften. Dass Coronatote als „an und mit Corona verstorben“ erfasst wurden? Für Drosten unproblematisch. Er zweifelt nicht, dass ein Arzt eindeutig feststellen kann, woran der Patient gestorben ist, und dies auch wahrheitsgetreu in den Totenschein einträgt.
Weiter im Drosten-Text: Die Impfung wirkt, Punkt. „Wir müssen nicht darüber diskutieren, ob die Impfung vor Übertragung schützt.“ Dazu gebe es sehr gute Daten. Drosten zeigt eine Grafik und spricht von den „richtigen Zahlen“. Man dürfe diese nicht mit Ausschnitten aus Talkshows vergleichen. Einzige Einschränkung zur Impfung: ab der Deltavariante. Dass es in Sachsen im Herbst 2021 überfüllte Intensivstationen gegeben habe, sei mit der geringen Impfquote zu erklären.
Das BSW fragt nach zur Aussagekraft von PCR-Tests. Drosten: Ein positiver PCR-Test bedeute auch eine Infektion.
Es geht, wie sollte es bei diesem Gast anders sein, auch um die Rolle, die Christian Drosten selbst in den Corona-Jahren gespielt hat. Er betont, dass er nur beraten und nicht entschieden habe. Ob er Fehler gemacht hat? Drosten sagt, er habe stets den aktuellen Studienstand kommuniziert. Das gelte auch für die allgemeine Impfempfehlung, die er mit Kollegen der Leopoldina Ende November 2021 ausgesprochen hatte. Einige Wochen später habe man mehr gewusst. Und die Schulschließungen? Die deutschen Studien seien mangelhaft gewesen, weil zum Beispiel Kontrollgruppen aus Erwachsenen fehlten, um die Virusausbreitung bei Kindern beurteilen zu können. Mehrere Politiker hätten ihm erzählt, dass die Schulschließungen die Menschen motivieren sollten, ins Homeoffice zu gehen.
Emotional wird es nach der Frage der AfD, ob ihn die Bilder aus Bergamo beeinflusst haben. Er lasse nicht an seiner zwanzigjährigen Berufserfahrung zweifeln, sagt Drosten. Bilder auf Social Media würden ihn als Wissenschaftler nicht beeindrucken. Die Situation in Bergamo erklärt er damit, dass sich das Virus dort exponentiell verbreitete.
Christian Drosten kritisiert, wie Experten für Talkshows ausgewählt werden. Das verzerre den Blick auf die Wissenschaft. Wenn ein Wissenschaftler Meinung A vertritt und zweihundert andere Meinung B, dann hätten die Medien häufig aus jedem Lager einen eingeladen. Dadurch glaube die Öffentlichkeit, die Wahrheit läge in der Mitte. Dem sei aber nicht so. Wo die Wahrheit wirklich liegt? Für Drosten bei B – bei den zweihundert Wissenschaftlern. Die Zuschauer waren bisher ruhig. Jetzt werden ungläubige Blicke getauscht.
Wie schon bei früheren Gelegenheiten plädiert Christian Drosten auch in Dresden dafür, eine Pandemie künftig ausschließlich von Wissenschaftlern beurteilen zu lassen. Die entsprechenden Experten sollten Institutionen wie die Leopoldina benennen. Sonst? Die Kommunikation verbessern. Politiker zur Bevölkerung sprechen lassen und so kritische Stimmen einfangen. Und er selbst? Sieht sich als Opfer von Hass. Druck und Drohungen wie bei Spitzenpolitikern. Aber er lasse sich nicht unterkriegen und werde seine Erkenntnisse auch künftig verbreiten.
Nach der Pause ist die Tribüne überfüllt. Tom Lausen wollen noch mehr Leute hören als Christian Drosten. Als Lausen im Landtag ankommt, gratuliert ihm eine Ärztin zu seiner neuen Dokumentation. Er lächelt erfreut und betritt mit seiner Frau das Bürgerfoyer.
Tom Lausen ist das erste Mal hier. In seinem Eingangsstatement veranschaulicht er die Übersterblichkeit in Sachsen, Deutschland und Europa zwischen 2020 bis 2024. Der Pandemieplan der Landesregierung zielte darauf ab, Krankheits- und Sterberate zu senken. Trotzdem gab es in Deutschland seinerzeit eine rund zehnprozentige Übersterblichkeit. Für Lausen beweist die Datenlage nicht, dass die Impfung die Sterblichkeitsrate reduzierte. Im Gegenteil: Trotz der Impfung blieb die Übersterblichkeit bestehen. Sachsen hatte die geringste Impfquote in Deutschland, jedoch zwischen 2021 und 2024 die zweitgeringste Übersterblichkeit.
Auch Tom Lausen spricht über Bergamo. Ein einzigartiges Ereignis in Europa, sagt er. Er war mit seinem Team vor Ort, hat Gräber auf Friedhöfen gezählt und so die Zahl von 6000 Toten bestätigt. Diese Anomalie, sagt er, sei ausschlaggebend gewesen für den Umgang mit der Pandemie in Europa. Die Ursache ist bis heute nicht untersucht. Ähnliche Ausreißer ließen sich auch in anderen Metropolen beobachten, etwa in Madrid. Dort sei die Sterberate nach einer kurzen hohen Übersterblichkeit wieder auf den Durchschnittswert gesunken, sagt Lausen. Untypisch für eine Epidemie.
Und die überfüllten Intensivstationen? Da gehe es um Wirtschaftlichkeit, sagt Tom Lausen. Man brauche 85 Prozent Belegung. Im Moment liege man bei bis zu 100 Prozent. Im April 2020 habe es einen finanziellen Anreiz gegeben, mehr Intensivbetten bereitzuhalten. Also: mehr Betten, die dann aber ab August wieder abgebaut worden seien. Die Belegung, siehe oben. Lausen kritisiert, dass die Krankenhäuser in Sachsen nur bei 16 Prozent der Patienten den Impfstatus erfasst hätten. So sei unklar, ob die Impfung dem Krankenhausbetrieb nutzt. Er bezweifelt, dass Leichenscheine immer sorgfältig ausgefüllt werden. Der Amtsarzt schaue die Leiche zwar an, es sei jedoch zu wenig obduziert worden.
Auch die Schulschließungen sieht Tom Lausen anders als Christian Drosten. Hier seien Kinder wahrscheinlich auch verzweckt worden. Er verweist auf zwei sächsische Studien von 2020, die Kinder als weniger ansteckend beurteilten. Dass Kinder Masken tragen mussten, findet er nicht verhältnismäßig.
Anders als sein Vorredner wird Lausen mehrfach nach Datengrundlage und Methodik gefragt. Er antwortet, dass er größtenteils öffentlich zugängliche Daten nutze. Zur Berechnung der Übersterblichkeit gebe es Daten aus jedem Landkreis in Deutschland. Seine Ergebnisse gleiche er mit den Zahlen des Statistischen Bundesamts ab. Die Sterbedaten seien oft kostspielig, für Sachsen hätten sie ihn 200 Euro gekostet. Als 2020 die Pandemie ausgerufen wurde, sagt Lausen, habe er Fragen zum offiziellen Narrativ gehabt, deshalb begonnen, sich die Daten selbst anzusehen, und dabei zahlreiche Ungereimtheiten entdeckt.
Während Christian Drosten über die Wirksamkeit der Impfung, die Gründe für die überfüllten Intensivstationen und seine Professionalität nicht diskutiert, deutet Lausen wiederholt auf die Grenzen seiner Erkenntnisse hin. Er ermutigt die Ausschussmitglieder, ihre Befugnisse zu nutzen, um offene Fragen zu klären und sich ein eigenes Urteil zu bilden. Nach der Anhörung verlässt er das Gebäude durch den allgemeinen Zugang und steht für Interviews zur Verfügung. Drosten ist weder davor noch danach für das Publikum zu sehen.
Franka Haase hat den Kompaktkurs Journalismus an der Freien Medienakademie besucht. Sie lebt in Dresden.
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