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Medien-Tresen | 21.03.2025
Bosetti und der Krieg
Der junge Autor Ole Nymoen verteidigte auf 3Sat seinen Standpunkt, nicht in den Krieg ziehen zu wollen. Dafür wurde er in die Mangel genommen.
Text: Aron Morhoff
 
 

Meine Woche begann mit einem aufgeräumten Vorurteil: Ich war davon überzeugt, eine Sendung von und mit Sarah Bosetti nicht bis zum Ende durchzuhalten. Ich hatte mich getäuscht, ich lebe noch. So viel Polemik zu Beginn, die in diesem Text sicher unvermeidlich hier und da durchsickern wird. Das Thema bei Bosetti Late Night am Sonntagabend: „Stell dir vor, es ist Krieg …“. Geladen waren zwei Gäste. Die eine, Marina Weisband, jüdische Deutsch-Ukrainerin, Grünenpolitikerin und seit Februar 2022 Talkshow-Dauergast, vertrat den Standpunkt, für den sie eingeladen war. Dennoch durchaus bereit zur Debatte, durchaus sympathisch und klug.

Deutlich neugieriger machte allerdings die zweite Personalie, die zu einem verbalen Wettstreit führte: Ole Nymoen ist ein sozialistischer Podcaster (Wohlstand für alle) und veröffentlichte kürzlich das Buch „Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde“. Der Veröffentlichung ging ein vieldiskutierter Artikel in der Zeit voraus. Anschließend warb der Rowohlt-Verlag um den 27-jährigen. Man wollte dem Thema ein ganzes Buch schenken.

Geo-Politik in einfacher Sprache

Zur Dramaturgie der Bosetti-Sendung muss an der Stelle nicht viel gesagt werden, die Moderatorin neigt zum hypermoralischen Unterton und Belehrungsfernsehen erster Güte, was das Anschauen zur Prüfung macht. Wie vermutet, beginnt die Sendung mit infantilem Lego-Spielen. Die Figuren haben unterschiedliche Flaggen in der Hand und symbolisieren die Vereinten Nationen. Dann sagt Bosetti: „Mr. President, Sie haben doch gesagt, ich soll Thank You sagen“ und räumt mit der „Ukraine“ die „USA“ um. Dabei erwischt sie aus Versehen eine weitere Figur, die ebenfalls zu Boden fällt. „Ach, das war Deutschland, das ist okay“. Lustig, lustig. Die Menge applaudiert. Verblödungsauftrag im ÖRR. Es folgt eine Straßenumfrage am Alexanderplatz: Was denken die Menschen über Krieg und Frieden? Die Antworten sind bunt gemischt. Dann kommt es zum Höhepunkt und Kern der Sendung. Ole Nymoen betritt das Studio und Marina Weisband wird per Videocall zugeschaltet.

In die Mangel genommen

Nun ging es also an die Debatte. Weisband argumentiert, dass ein Soldat nicht nur einem abstrakten Land oder machtbesessenen Politikern diene, sondern dass es um mehr gehe. Man verteidige eine Idee (unsere Demokratie), ein gutes Leben und stehe auch in der Tradition von mutigen Frauen, Arbeitern, Unterdrückten, die sich historisch ihre Freiheit immer wieder blutig erkämpfen mussten. Dem Pathos kann sich das Publikum nicht entziehen, welches Weisband immer wieder mit Applaus antwortet.

Die intellektuell deutlich anspruchsvollere Position vertritt Ole Nymoen, der mit ruhigem und sachlichem Ton darauf hinweist, dass sich in der Ukraine gerade hunderttausende Männer vor dem Zugriff des Staates verstecken. Diejenigen, die sich nicht in Sicherheit bringen könnten, würden rund sechs Wochen an der Waffe ausgebildet und dann an die Front geschickt, wo sie oft nach Tagen stürben. Er erklärt, dass er mit einem verfeindeten Soldaten, auf den er schießen müsse, mehr gemeinsam habe als beide Soldaten mit ihren Befehlshabern. Er erklärt, dass er sich mit einem Staat nicht identifiziere, der sich mit dem Verweis auf fehlendes Geld nicht um Schulen, Rentner und Arme kümmere, in einer Sitzung aber hunderte Milliarden für Rüstung beschließen könne. Und er weist wieder und wieder darauf hin, dass er nicht sterben und auf niemanden schießen wolle und dies Grund genug sei, denn dies könne auch niemand von jemand anderem verlangen.

Kriegstrommeln

Die Frage, ob man für sein Land in den Krieg ziehen sollte, ist ja durchaus legitim und kann in einer Talkshow diskutiert werden. Bemerkenswert, wenn auch nicht sonderlich verwunderlich, ist die parteiische Position, die Bosetti als Moderatorin einnimmt, die Ole Nymoen immer wieder dazu drängt, nun doch für Aufrüstung, Wehrpflicht und Kriegslust wenigstens ein paar Argumente zu finden. Der Eindruck lässt einen nicht los, dass das Overtonfenster in dieser Sendung zugunsten der Kriegslust kippen soll, da Ole Nymoen nicht nur Weisband, sondern auch Bosetti und das Publikum gegen sich hat.

Bezeichnend für unsere Zeit ist auch, dass sich Ole Nymoen zwei älteren Frauen ausgesetzt sieht, beide medial erfahrener als er, die ihm, der von den dreien im Ernstfall wohl als einziger sein Leben an der Front geben müsste, mangelndes „Ringen“ vorwerfen, so Bosetti. Es fehle ihr bei Nymoen die Abwägung, komplexe Fragen könne man nie so schwarz-weiß beantworten wie der junge Mann in seinem Anti-Kriegs-Buch. „Warum ringst du nicht?“, fragt sie wiederholt. Ihre eigene Fähigkeit zum sensiblen und weitsichtigen Umgang mit komplexen gesellschaftspolitischen Sachverhalten hatte Bosetti im Dezember 2021 unter Beweis gestellt, als sie Impfkritiker als „Blinddarm der Gesellschaft“ bezeichnete, die „für das Überleben des Gesamtkomplexes nicht essentiell“ seien.

Eine gelungene Sendung

Marina Weisband und Ole Nymoen sind sich nicht unsympathisch und erkennen eine Gemeinsamkeit: Beide würden sich als „eigentlich anarchistisch“ bezeichnen. „Wir viben“, sagt Weisband zu Nymoen. Freie Gesellschaften seien oft fragil, weil sie sich nicht schützen können vor dem Überfall autokratischer Mächte, sagt Weisband zum Ende. Es brauche daher spieltheoretisch notwendigerweise Abschreckung durch Aufrüstung, da es den Einmarsch anderer Länder unwahrscheinlicher mache. Dass die Atombombe, über die sowohl EU als auch Russland verfügen, bereits seit Jahrzehnten für Waffengleichheit und Abschreckung sorgen soll, sei dahingestellt. Dass der Ukrainekrieg bei Bosetti Late Night keine Vorgeschichte hat und 2022 beginnt, ist vom Dummfernsehen nicht anderes zu erwarten. Dass Weisband in alter Joschka-Fischer-Manier ernsthaft mit den Worten schließt, ihre Losung sei zwar nie wieder Krieg, aber auch nie wieder wehrlos, überspannt den Bogen in puncto Pathos allerdings ein erneutes, wenn auch letztes Mal, denn sie ist endlich vorbei. Dank Ole Nymoen, einem klugen jungen Mann, hat die Sendung dennoch zum Denken angeregt und das Label „Diskussion“ wirklich verdient.

Dass Nymoen mit Medien der Gegenöffentlichkeit nicht spricht und als „Linker“ auch die Coronazeit unkritisch geschluckt hat, muss trotzdem erwähnt werden. Es wäre schön, wenn er sich dahingehend weiterentwickelt.

Aron Morhoff studierte Medienethik und ist Absolvent der Freien Akademie für Medien & Journalismus. Frühere Stationen: RT Deutsch und Nuoviso. Heute: Stichpunkt Magazin, Manova, Milosz Matuschek und seine Liveshow "Addictive Programming".

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Bildquellen: Screenshot: Bosetti Late Night, 16. März 2025