4a83158230777eaa6d54a9f92be5c4cf
Welt-Tresen: Sterben | 04.11.2025
Auf Leben und Tod
Journalismus hat, wie der Name schon sagt, etwas mit dem Tag zu tun – ganz anders als Friedhöfe. Unser Autor schleicht über gedankliche Gräberfelder.
Text: Hans der Kleingärtner
 
 

Ich pflege Gräber der Familie. Grabpflege ist Kleinstgärtnerei. Sommers stelle ich Blumen aus meinem Garten dort hin. Für den Winter fertige ich Grabgestecke mit Trockenblumen und Mohnkapseln. Mitunter finde ich einen Stein, den ich dann da aufstelle. MEMENTO MORI ist mir das Latinum des kleingärtnerischen Grabpflegers.

Dieses Jahr entwendete ich zu diesem Zweck sogar eine Grabplatte, die ich im Schutt eines Friedhofes im ehemaligen deutschen Osten gefunden hatte. Sowas macht man nicht. Aber ich.

Bildbeschreibung Marmorplatte aus Oberschlesien. Das gerettete Teil befestigt an einer Eichenbohle, aufgestellt mit einem Sockel aus Beton.

Auf den Gräbern mache ich mithin Sachen, die nicht ganz üblich sind. Und so denke ich auch über meine zu betreuenden Toten. Wie einen Vorsatz trage ich mit mir rum:

Keine lebensverlängernden Maßnahmen!

Das erspart mir Arztbesuche. Ich heile mit Gartenkräutern rum. Aber vielleicht ist ja mein Kleingarten eine lebensverlängernde Maßnahme.

Liebe Bekannte melden sich bei mir zum Sterben ab. Das merkt sich. Mitunter gehe ich zu Begräbnissen. Dreie hatte ich selbst ausgerichtet. Zum Beispiel das von meiner Mutter. Wie war das? Im Herbst 2021. Sie stand schon dolle unter Morphium. Ich brachte ihr frische Wäsche ins Pflegeheim. Am Tag ihres Todes hatte ich keinen tagesaktuellen PCR-Test und wurde schon vom Flur aus von einem kräftigen Pfleger vor die Tür gesetzt. Ich dachte, ach, ist ja interessant, wie die Pandemie Sadisten hervorbringt. Und was ich mit mir machen lasse. War sie also tot, meine Mutter. Mein Ehrgeiz war, dass jeder am Begräbnis teilnehmen kann. Corona-Gläubige und Ungeimpfte. Es war dann Spätherbst und kalt. In die Kapelle des Friedhofes durften wir nicht. In ein Restaurant konnte ich ohne voll durchgetestete und vakzinierte Gäste auch nicht rein. Also gab es den Leichenschmaus als Flashmob auf der Straße. Nahe Gefrierpunkt.

Bildbeschreibung Spätherbst 2021. Begräbnisfeier. Ausgesetzt. Unter freiem Himmel.

Sage mir niemand was von Corona-Aufarbeitung! Die Beschämung, die meiner Mutter im Pflegeheim zuteilwurde (davon habe ich hier besser nichts erzählt) und dann auch mir, bekomme ich körperlich nicht wieder los. Ich trage die mit mir.

Als junger Mensch musste ich im Spätherbst abends auf dem Heimweg durch den Friedhof am Krankenhaus. Rotes Kerzenlicht flackerte. Es war unheimlich. Ich fragte mich, wer liegt hier eigentlich. Vielleicht auch nach Fehlbehandlung im Krankenhaus Gestorbene. Vielleicht Namenlose. Irgendwie Entsorgte. Gruselig. Das war die Zeit, Ende der 70er, dass im kleinen Kreise aussprechbar wurde, wer von den namhaften Ärzten aus unserer Region im 3. Reich an der Euthanasie teilgenommen hatte. Es wurde aussprechbar, dass und wozu es die Ausrottungsaktion T4 ab September 1939, ab Kriegsbeginn, gegeben hatte und welchen Verlauf sie nahm. Auch in dem Krankenhaus, zu dem der Friedhof gehörte, wurde gemordet. Für mich führte der Weg mitten durch durchs Gräberfeld. Heute ist eine Gedenktafel am Hintereingang des Haupthauses.

Ja, mit Corona wurde versucht, jeden Anstand gegenüber Siechen und Sterbenden fahren zu lassen. Man hat es versucht. Impfen für alle. Wollte ich meine Mutter besuchen, bekam ich zur Eingangskontrolle ein Wattestäbchen ekelauslösend in Hals oder Nase gestupst. Zwecks Angewöhnen von willkürlichem Gen-Abstrich. Ich glaube, dass das in den RKI-Protokollen nicht drinsteht: die vorsätzliche Barbarei.

Vorsatz? Gibt es bezüglich des Altersüberhanges bei uns Vorsatz? Auf die Idee hat mich der grüne Politiker V. im Herbst 2020 gebracht. Ich war in einen Gesprächskreis geraten, der eine linksgrüne Strategie für die Bundestagswahlen diskutierte (dabei Maske auf, stets Lüften, Abstand). Für die Grünen stand also V. programmatisch auf und sagte: Keine Regierung kommt umhin, sich der Frage des Altersüberhanges in der Gesellschaft zu stellen. Er meinte, ohne diesem Problem robust zu begegnen, kann es keine Politik mehr geben. Man hörte das. Zweimal. Man schwieg dazu. Na ja. Schon Mitte der 80er gab es in der Zone zu dem Thema einen Witzemacher:

Zum XI. Parteitag der SED soll eine sozialpolitische Maßnahme für Rentner beschlossen werden. Sie dürfen bei Rot über die Straße gehen. Beim darauffolgenden: Sie müssen.

Seither erlaube ich mir bei jedweder Entscheidung der Regierenden die Frage, wie gehen sie denn hier – ohne es erwähnen zu müssen – demographisch mit dem Altersüberhang um. Ich erlaube mir zu verstehen, alles, was sie sagen und vorgeblich tun, in ihrer Wirkung oder Wirkungslosigkeit auf die alten Leutchen zu erwägen. Ein Mensch im Rentenalter kommt auf drei Menschen im Erwerbsalter. Das ist so. 1:3. Gendergerechter Geburtenrückgang und Masseneinwanderung satteln da noch drauf. Merz sieht so aus, als ahnte er derlei. Dass er demographisch mit der Überalterung ein richtiges Problem hat. Schon allein, um die Bundeswehr voll zu bekommen und aufs Schlachtfeld zu verabschieden. Das muss er. Denn die demographische Uhr tickt. Und derlei denke ich mir, wenn ich auf Gräbern Unkraut zupfe. Keine lebensverlängernden Maßnahmen für mich, rede ich mir dabei ein. Bitte für mich keine Vollpflege bis 100.

Bildbeschreibung Flügel im Schnee

Ja, ja, überall die Vergänglichkeit … Eigentlich bleibt mir nicht mehr viel zu tun, bis ich über den Jordan gehe. Das meiste ist getan. Es wird immer weniger, was ich tun kann und tun möchte. Ich freue mich jedoch stets aufs Neue über das Licht.

„Mehr Licht“ will man letztlich von Goethe gehört haben. Es kann vielleicht auch geheißen haben: Oh Gicht. Oder: Mehr nicht.

Hans der Kleingärtner findet die Stimmung auf den Friedhöfen meistens gut. Wo er auch nach dem Rechten bei den Gräbern seiner Familie schaut. Er selbst will in dem Sinne kein Grab für sich. Begraben werden aber schon.

Freie Akademie für Medien & Journalismus

Unterstützen

Newsletter

Bildquellen: Hans der Kleingärtner