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Oben & unten | 13.11.2024
Arbeitsreichtum
Wer Work-Life-Balance sagt, der meint, dass Leben etwas neben oder nach der Arbeit ist. Menschen, die körperlich arbeiten, erzählen uns etwas anderes.
Text: Axel Klopprogge
 
 

Manchmal habe sogar ich ein schlechtes Gewissen, zum Beispiel in diesem Fall: Nachdem wir unser Internet auf Kabel umgestellt hatten, gab es Probleme. Ein Techniker der Telefongesellschaft nahm sich der Sache an. Es war offenbar alles schwieriger und komplizierter als gedacht, und teilweise stammten die Probleme noch aus der Erbauungszeit des Hauses und hatten mit dem Anbieterwechsel nichts zu tun. Der Techniker lief treppauf-treppab, maß alles durch, tauschte hier einen Anschlusskasten und dort ein Kabel aus. Es dauerte anderthalb Stunden, aber dann war alles gelöst und funktioniert seither bestens. Was hat das mit meinem schlechten Gewissen zu tun? Der Techniker bat um eine Bewertung und schickte mir einen Link. Gerne hätte ich ihm fünf Sterne gegeben, aber ich habe es nicht sofort gemacht und dann war der Link abgelaufen. Schade, denn eine gute Arbeit verdient Anerkennung.

Auf einer Reise kamen meine Frau und ich spät ins Hotel zurück. An der Bar brannte noch Licht, ein junger Kellner war mit Aufräumen beschäftigt und wir fragten, ob wir noch einen Absacker trinken dürften. Ich bestellte ein Pils und als ich sah, mit welcher Sorgfalt er es zapfte, kamen wir ins Gespräch. Während er geschickt aufräumte und polierte, erzählte er stolz von seiner Ausbildung und von all dem, was man dabei lernt.

Seit vielen Jahren kümmert sich ein Haustechniker um all das, was im Haus zu reparieren ist und meine Fertigkeiten übersteigt. Er kommt mit einem Transporter, in dem eine ganze Werkstatt verborgen ist. Der Mann ist 77 und selbstverständlich geht manches etwas langsamer und nur unter Keuchen und Ächzen. Aber er beißt sich immer durch und sagt: „Arbeit und Umgang mit Menschen halten jung. Mir graut heute schon vor dem Tag, wenn ich meine Werkstatt auflösen muss.“

Wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht, dann kann man täglich solche Menschen beobachten, die Freude an ihrer Arbeit haben und damit uns allen Freude bereiten. Unsere Briefträgerin, die bei Wind und Wetter schon von weitem grüßt und immer ein Lächeln auf den Lippen trägt. Die Fachverkäufer in der Metzgerei, bei denen allein die Art, wie sie ein Stück Fleisch in die Hand nehmen, Kompetenz und Schönheit ausstrahlt. Der schwarze Müllmann, der elegant und freundlich grüßend mit den Mülltonnen jongliert. Die Pflegehilfskraft aus Bosnien, die von der Odyssee ihres Lebens erzählt und zu strahlen beginnt, als sie auf ihre Arbeit zu sprechen kommt. Mir geht es um keinen Arbeiter- und Bauern-Kitsch, aber in all den Diskussionen um New Work, Workation, Work-Life-Balance und Arbeitszeitreduzierung sollten wir nicht nur in Erinnerung behalten, dass diese Arbeiten unsere Gesellschaft am Laufen halten, sondern wir sollten auch ihre Würde und Schönheit wahrnehmen – und zwar jeder Arbeit, die gut und mit Liebe gemacht wird.

Beruflich hatte und habe ich viel damit zu tun, wie man die Belastungen durch Arbeit verringern kann. Aber in den letzten Jahren habe ich mich systematisch mit der umgekehrten Frage beschäftigt, nämlich was Arbeit uns Menschen gibt. Ich sprach darüber kürzlich mit einem befreundeten Arzt und Eigentümer einer großen arbeitsmedizinischen Praxis. Er berichtete davon, wie wichtig der gemeinschaftliche Charakter von Arbeit für die psychische Gesundheit und wie groß ihre Bedrohung durch Homeoffice in einer Region mit 50 Prozent Single-Haushalten ist. Als ich jedoch auf die eben geschilderten Beobachtungen und die daraus entstehende Zufriedenheit gerade der robusten und handfesten Berufe zu sprechen kam, sprang er zunächst nicht auf das Thema an. Man merkte, dass das in der arbeitsmedizinischen Fachdiskussion offenbar keine Rolle spielt. Nach einer Weile sagte er jedoch plötzlich: „Ja, das stimmt. Klagen über die Arbeitssituation und die Arbeit überhaupt kommen eigentlich nie von den Menschen, deren Arbeit angeblich so bemitleidenswert ist, sondern von Büroangestellten, denen die Wirksamkeitserfahrung fehlt.“ Aus eigenen Forschungen und vielen persönlichen Gesprächen kann ich diesen Befund bestätigen.

Dabei zeigt sich auch, wie schwer es uns fällt, diesen Befund anzuerkennen. So traf ich auf eine soziologische Studie, die untersuchen wollte, ob die Unzufriedenheit von Fabrikarbeitern zu Affinität für rechte Parteien führt. Was immer die befragten Fabrikarbeiter für politische Ansichten hatten, sie waren gar nicht unzufrieden mit ihrer Arbeit und wollten sich das von den Soziologen auch nicht einreden lassen. Arbeitende Menschen ärgert jedoch, wenn man im betrieblichen Alltag oder in der gesellschaftlichen Diskussion ihren wertschöpfenden Beitrag nicht würdigt. Niemand muss für Arbeit bedauert werden, auch nicht für anstrengende oder schmutzige Arbeit. Die Menschen, die solche Arbeiten machen, verbitten sich solches Mitleid. Wenn man Stellenanzeigen für einfache und handfeste Tätigkeiten analysiert, dann fällt jedoch auf, wie viel von lyrischen Girlanden und wie wenig von der eigentlichen Tätigkeit die Rede ist. „Achtsame, offene und kooperative Unternehmenskultur“. Oder: „Wir sind per Du und haben Startup-Flair.“ Das ist gewiss furchtbar sozial gemeint, aber es nimmt den Menschen die Möglichkeit, offen, konkret und mit Stolz von dem zu reden, was sie tun.

Dr. Axel Klopprogge studierte Geschichte und Germanistik. Er war als Manager in großen Industrieunternehmen tätig und baute eine Unternehmensberatung in den Feldern Innovation und Personalmanagement auf. Axel Klopprogge hat Lehraufträge an Universitäten im In- und Ausland und forscht und publiziert zu Themen der Arbeitswelt, zu Innovation und zu gesellschaftlichen Fragen. Seine Kolumne "Oben & Unten" erscheint jeden zweiten Mittwoch.

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