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Artikel | 14.10.2023
Journalismus, Macht und wir
Warum erfüllen die Leitmedien ihren öffentlichen Auftrag nicht? Warum sendet der öffentlich-rechtliche Rundfunk an dem vorbei, was der Medienstaatsvertrag von ihm verlangt?
Text: Michael Meyen
 
 

Die Medien sind der Schlüssel, sagen viele bei den Veranstaltungen, die ich im Moment mache. Oft folgen dann Fragen. Was ist los mit den Redaktionen? Warum liefert der Journalismus nicht das, wofür wir ihn bezahlen – Ausgewogenheit zum Beispiel und Meinungsvielfalt? Warum wurden Kritiker der Corona-Politik ab März 2020 ignoriert, diffamiert oder lächerlich gemacht? Oft wird es dann konkret. Die Zahlen zu den Berliner Augustdemos natürlich. Die Ablehnung der Petitionen von Bastian Barucker, der doch eigentlich nur etwas ganz Selbstverständliches wollte – eine Debatte im Ersten zwischen Drosten, Wieler, Lauterbach auf der einen und Bhakdi, Wodarg, Homburg auf der anderen Seite. Warum, Herr Meyen, übernehmen die Leitmedien einfach das, was die Regierungen sagen? Warum schüren sie ständig Angst?

Wenn es schnell gehen muss, sage ich: Vergesst, was ihr in der Schule über den Journalismus gehört habt. Vergesst das Gerede von der vierten Gewalt, von Objektivität, von Unabhängigkeit. Das ist Teil der Propaganda, nach Westdeutschland gebracht von den Siegern im Zweiten Weltkrieg, um zu verschleiern, was die Leitmedien eigentlich sind – Sprachrohre der Macht. Wenn alle daran glauben, dass der Journalismus ein Handwerk ist, sogar gebaut auf einem wissenschaftlichen Fundament, dann werden die Fernsehnachrichten zur Wirklichkeit. Dann sieht keiner mehr, dass die Redaktion heute Abend auch über etwas ganz anderes hätte berichten können, über Menschen zum Beispiel, die ihr Geld mit den Händen verdienen und unter all dem leiden, was die Regierung so anstellt. Inflation, Krieg, Dauerpanik. Dann kommt auch niemand auf die Idee, dass die Regierung ihre Finger im Spiel hat bei dem, was gesendet wird und bei dem, was unter den Tisch fällt.

Wenn mehr Zeit ist, muss ich diesen letzten Satz erklären. Es gibt die Anrufe natürlich, aus dem Kanzleramt, aus den Ministerien, von einzelnen Politikern. Wir wissen, dass sich Steffen Seibert, damals Merkels Sprecher, Anfang Juni 2020 in Berlin mit Vertretern von Google und Facebook getroffen hat. Wir kennen die Twitter-Files, die beweisen, dass CIA und FBI im Herz des Konzerns gesessen haben, als darüber entschieden wurde, welche Konten gelöscht, gesperrt, verbannt werden. Dieser direkte Draht ist aber nur ein Teil des Problems und kann selbst dann nicht alles erklären, wenn man annimmt, dass auch der kleinste Redakteur mitbekommt, wenn ein Abweichler bestraft wird.

Der Alltag ist komplizierter. Im Alltag muss dieser Redakteur malochen. Seiten füllen, Seiten aktualisieren, dafür auf den Plattformen werben und dann auch noch auf das reagieren, was das Publikum dazu sagt. Journalismus ist zu einem Bildschirmjob geworden – auch weil die Budgets für Personal und Recherchen schrumpfen. Die Medienhäuser gehören superreichen Familien, die nicht zufällig so wohlhabend geworden sind und über ihre Plattformen dafür sorgen, dass das so bleibt. Haben Sie in Ihrer Zeitung schon einmal einen Kommentar gelesen, der einen Streik feiert? Warum sollte ein Milliardär zulassen, dass seine Angestellten Gewerkschaften nach dem Mund reden, gegen Kriege anschreiben und die transatlantischen Brücken torpedieren, auf die sich sein Einfluss stützt?

In so einem Verlag zu arbeiten, muss man sich heute leisten können. Der Weg in den Beruf ist lang und schlecht bezahlt. Fragen Sie die Verkäuferin, den Tankwart, den Maurer. Den Sohn oder die Tochter auf eine Journalistenschule schicken? Undenkbar. In den Redaktionen dominieren deshalb Mittelschichtkinder, die weiter aufsteigen wollen als ihre Eltern und „die da oben“ bewundern, weil sie das geschafft haben, was man selbst gern möchte.

Außerdem kennt man sich, von der Universität, aus dem Viertel, vom gemeinsamen Urlaub. Uwe Krüger, Medienforscher aus Leipzig, hat von einer „Verantwortungsverschwörung“ gesprochen: Journalisten wissen, was gut ist und was schlecht (so ziemlich das gleiche, was die Eliten in Politik, Wirtschaft, Kultur gut oder schlecht finden), und glauben, dass sie Einfluss auf die Menschen haben. Also wird das weggelassen, was den eigenen Wünschen und Zielen im Weg zu stehen scheint, und das betont, was helfen könnte. 17.000 Demonstranten am 1. August 2020 in Berlin. Sagt sogar die Polizei – einer der Apparate, die ihre Medienabteilungen in den letzten 15 Jahren erheblich aufgestockt haben und so dafür sorgen, dass die ausgedünnten Redaktionen genau das bekommen, wonach sie ohnehin suchen – Exklusivnachrichten, schon mundgerecht aufbereitet und damit ohne großen Aufwand zu publizieren.

Wer wissen möchte, warum sich die Kräfteverhältnisse in der Öffentlichkeit verschoben haben, muss nicht nur den Kahlschlag in den Redaktionen kennen, sondern auch das, was Parteien, Ministerien, Konzerne, Stiftungen in die Außendarstellung investieren. Friseur- und Fotografenrechnungen oder Honorare für TV-Gesichter sind da nur die Spitze des Eisberges, eher als Aufreger geeignet und Ablenkung von den Strukturen, über die wir eigentlich diskutieren müssten. Allein das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung hat gut 500 Planstellen und an der Spitze drei einstige Topjournalisten (Steffen Hebestreit, Wolfgang Büchner, Christiane Hoffmann, nominiert von Rot, Gelb, Grün), die das Know-how und die Kontakte einbringen, um die Kollegen von einst bei fast jeder Schandtat mitzunehmen.

Und dann sind da die Digitalkonzerne – Zensurmaschinen einerseits, weil Gesetze wie das NetzDG oder Selbstverpflichtungen wie der EU-Verhaltenskodex gegen Desinformation genau das forcieren, und andererseits Spaltpilze für die Gesellschaft. Wer auf den Plattformen unterwegs ist, muss klare Kante zeigen. Dafür oder dagegen. Eins und null. Hier wird die Formel der Digitalisierung plötzlich klar. Instagram, Facebook, X (Twitter) lassen Maß und Mitte verschwinden und damit jede Differenzierung, alles Fragen, jedes Abwägen. Diese Plattformen sind eine Kampfansage an eine Menschlichkeit, die sich Zeit zum Nachdenken nehmen möchte und Ambivalenzen genauso kennt wie die Unwägbarkeiten des Daseins. All das passt nicht in ein paar Zeichen. All das passt auch deshalb nicht, weil es schnell gehen muss. Das Digitale lebt von Tempo und Frequenz.

Was das mit dem Journalismus und den Leitmedien zu tun hat? Selbst das Lokalblatt ist längst im Netz. In manchen Landkreisen wird überhaupt nicht mehr gedruckt und zugestellt. Das heißt: Um Reichweite zu bekommen, müssen die Redaktionen die Digitallogik bedienen, ob sie wollen oder nicht. Wir wissen inzwischen, was die Plattformen aus den Zeitungen machen. Sie lassen das Leben und die Probleme von denen verschwinden, die keine Zeit und vielleicht auch keine Lust haben, permanent online zu sein, und so nicht dazu kommen, ihre Interessen in der Spirale der Aufmerksamkeit zu füttern. Sie verjagen den Reporter, der rausgeht aus dem Büro, sich überraschen lässt und dann sein Publikum mitnimmt, und installieren dafür Götter der Gesinnung, denen ein Blick auf X (Twitter) genügt, um ihre Artikel zu schreiben, und die eher Marketing-Leute in eigener Sache sind als Journalisten. Jan Böhmermann zum Beispiel, 2,7 Millionen Follower auf X und 15 Millionen auf TikTok.

Die Medien sind der Schlüssel, klar. Es wäre aber blauäugig anzunehmen, dass dieser Schlüssel einfach so den Besitzer wechseln kann. Dafür gibt es nur einen Weg. Das Publikum ist größer. Viel größer. Es muss das nur noch verstehen und all das beiseiteschieben, was es angeblich trennt.

Erstveröffentlichung: Demokratischer Widerstand 150, 7. Oktober 2023, Seite 9

Bildquellen: Mike Ramirez Mx, @Pixabay