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Bericht | 23.02.2023
Landwirte in Nöten
Gülle soll weniger stinken. Moderne Maschinen müssen her. Die Folge: Exkremente im Futtertrog und Geldsorgen. Besuch bei den Wurzeln unserer Nahrungsmittel.
Text: Hakon von Holst
 
 

Seine Augen sind gerötet. Übermüdung? Die Reizwirkung von Ammoniak? „Ich habe nicht so viel Zeit“, sagt Hans Steiner. In der Halle am Dorfende betreibt er eine Schweinemast. Stechende Gase dringen aus der Stallung. Manchmal, wenn Steiner Gülle ausgefahren hat, fliehen auch Alteingesessene in ihre Häuser.

Das Umweltbundesamt sieht eine Gefahr: „Ammoniak breitet sich in der Luft aus, reagiert mit anderen Luftschadstoffen und bildet Feinstaub.“ Nicht nur die Gesundheit ist ein Thema: Ammoniak könne empfindliche Pflanzenarten aus ihrem Lebensraum verdrängen. Mit ihnen verschwinden dann viele Gesichter aus der Tierwelt. Als Hauptquelle für Ammoniakgase gilt die Viehzucht. 37 Prozent gehen zurück auf die Ausbringung von hofeigenen Düngemitteln wie Mist, Jauche und Gülle. Aus den Ställen stammt mehr als ein Viertel.

Die EU-Richtlinie über Emissionshöchstmengen gibt jedem Mitgliedsstaat eine Hausaufgabe. So muss Deutschland sicherstellen, dass der Ammoniakausstoß ab dem Jahr 2020 um fünf Prozent gesunken ist und ab 2030 um 29 Prozent. Die Bundesrepublik hat deshalb eine neue Düngeverordnung, in Kraft seit 2017. Die Landwirte sind verpflichtet worden, Gülle nur noch streifenförmig am Boden abzulegen oder direkt in die Erde einzuarbeiten – Versprühen ist verboten. Die Vorgabe gilt auf Äckern seit 2020 und auf Wiesen ab der Saison 2025. Wie denken die Bauern?

Hans Steiner winkt ab. Er hat keine Lust, über eine unangenehme Sache zu sprechen. Also auf zum nächsten Gehöft. Der Wintertag in dem kleinen Dorf im Schwarzwald ist klirrend kalt. Am Fuchshof öffnet sich die Tür: Bei Thorsten Hirt und Familie ist der Empfang so warm wie das Haus. Willkommen! Der Betrieb hat zwei Freilaufställe für 120 Milchkühe und ihren Nachwuchs. Mehr als 4000 Kubikmeter Gülle fallen an, Jahr für Jahr. Die Gase aus dem flüssigen Mist werden zur Stromerzeugung verbrannt, mit der Abwärme wird geheizt.

Für Thorsten Hirt hat sie noch eine andere Bedeutung, die Gülle: Den Boden könne man nicht nur beernten, man müsse ihm auch etwas zurückgeben. Hier also das, was erst durch den Magen der Kuh geht und später durch die Biogasanlage. Und die neue Düngeverordnung? Gülle in langen Wülsten am Boden ablegen, darin sieht der Jungbauer einen Vorteil: Es entweiche weniger Ammoniak in die Luft; die Pflanzen würden gezielter gedüngt und wüchsen besser. Dabei bezieht er sich allerdings auf die Äcker – die Wiesen bereiten ihm Sorgenfalten.

Maschinen und ihre Probleme

Steigende Erträge sind in Thorstens Hirts Sinne, aber wo Güllereste im Grasschnitt auftauchen, hört für ihn der Spaß auf. „Wenn wir keinen Niederschlag haben, dann trocknet die Gülle“, sagt er. Und: „Der Regen fehlt eigentlich immer.“ Sind die Güllewülste am Boden erst einmal ausgehärtet, könne sie der Regen nicht mehr auflösen. Und dann? Nach der Mahd ließe sich kaum vermeiden, dass Güllereste vom Heuwender erfasst werden. Am Ende findet sich der Mist also im Futtertrog der Milchkuh wieder. Für Thorsten Hirt keine appetitliche Vorstellung.

Gülle verteilen, wenn es regnet: Weniger Ammoniak geht nicht. Das Wetter ist aber nicht der einzige Faktor. Auch das Gras muss niedrig sein. Und wenn der Boden aufgeweicht ist, kann der Gülletankwagen nicht fahren: 20 Tonnen hinterlassen Spuren, und an Steigungen drehen die Räder durch. Der Schaden sei kaum noch zu beheben, sagt Vater Helmut Hirt. Der verdichtete Boden bringt weniger Ernte, die Gülle dringt dort schlechter in die Erde ein.

Traktor

An einen Traktor angehängt, zieht der Tankwagen einen 15 Meter breiten Rechen nach sich. Nicht Zinken, sondern eine Unzahl an Schläuchen durchkämmt das Gras hinter dem Gefährt. Durch seine hohlen Fangarme scheint das Monstrum scharfe Säfte in den Erdkörper zu pumpen. So kann man sich die Maschine vorstellen, und sie hat auch einen Namen: Auf dem Fuchshof sagt man Schleppschuhverteiler. Der erfüllt die Düngeverordnung, aber er ist schwer. Anderthalb Tonnen für Schläuche und Tragwerk, dazu die Technik auf dem neuen Tankwagen und die stabilere Bauart. Alles in allem vier Tonnen extra, schätzt Thorsten Hirt. Die Traktoren auf dem Fuchshof seien kräftig genug, den Koloss zu ziehen. Der Landwirt mit Meisterbrief denkt aber an die Dieselrechnung.

Die Umstellung ist teuer

Auch der Tankwagen mit seinen Schläuchen ging ins Geld: Die Neuanschaffung ließ sich Familie Hirt netto 120.000 Euro kosten. Jetzt lassen sich 19 Kubikmeter Gülle mit einer Füllung ausbringen. Gibt es keine günstigere Option? Man könne den altbewährten Güllewagen umrüsten, sagt der Senior. Sofern das Gefährt für das Zusatzgewicht überhaupt ausgelegt sei. 30.000 bis 40.000 Euro müsse man trotz allem in die Hand nehmen.

In Achtstundentage umgerechnet verbringen die Hirts keine drei Arbeitswochen im Jahr auf dem Traktor, um den flüssigen Mist aus Kuhstall und Biogasanlage auszubringen. Viele Maschinen würden ein Vermögen kosten, kämen aber nur selten zum Einsatz. So eine Investition mache sich nie bezahlt. Wie geht es anderen damit?

„Kleine Betriebe können sich das nicht mehr leisten“, sagte Michael Burger beim Gespräch auf seinem Hof. Der Milchbauer steht mit seiner Prognose keineswegs allein: Das Bayerische Landwirtschaftliche Wochenblatt berichtete im Februar 2021 über die Erfahrungen von drei Landwirtschaftsberatern. Die „befürchten eine Tendenz zur verstärkten Aufgabe kleinerer Betriebe“, sollte sich nichts daran ändern, dass Gülle auf Wiesen ab 2025 in Streifen am Boden abgelegt werden muss.

Am Hackplatz zwischen Holzscheiten wird Michael Burger laut, schimpft auf „landwirtschaftsfremde Vorschriften“. Wer kein Geld besitze für einen regelkonformen Gülletankwagen, beauftrage einen Lohnunternehmer mit der Ausbringung. Und der „kommt halt, wenn er Zeit hat“ – im dümmsten Fall dann, „wenn gerade die Sonne brennt“. Gülle auf Grasland bei Hitze und Trockenheit? Da sieht Burger das Ammoniak in die Atmosphäre steigen – für ihn ein Düngemittel und bares Geld. Richtig schlimm sei aber die Futterverschmutzung: ausgetrocknete Güllewürste im Grasschnitt.

Alternative Wege

Thorsten Hirt schaut nachdenklich. Gibt es für die Ammoniakfrage keine andere Lösung? Paragraf 6 der Düngeverordnung hat den Bundesländern die Möglichkeit offengehalten, ein anderes Verfahren zu genehmigen – sofern die Freisetzung von Ammoniak in vergleichbarem Maße verringert wird.

Auch Braunkohle, Säuren oder Bakterienkulturen können den Austritt stinkender Gase reduzieren. Die Wissenschaft untersucht ihr Potenzial. Je nach beigemengtem Zusatz berichtet der eine oder andere Bauer davon, dass Gülle fließfähiger wird, leichter in den Boden einsickert und die Gräser weniger ätzt. Und noch weiter gedacht: Wenn man dem Ammoniak bereits im Stall entgegentreten würde, könnte auch das Klima für die Tiere verbessert werden.

Thorsten Hirt hat keinen Zweifel, dass die Investition in Gülletankwagen zu einer geringen Bereitschaft führt, sich mit alternativen Ansätzen zu befassen. Er selbst hat mit Güllezusätzen bisher nicht experimentiert, gibt aber zu bedenken: „Auch der Zusatz kostet Geld.“ Für den Siegeszug des Schleppschuhverteilers mit seinen güllepumpenden Schläuchen hat Hirt eine einfache Erklärung: Der Staat will die Wirtschaft ankurbeln.

Hilfszahlungen an Glückspilze

Mit dem Investitionsprogramm Landwirtschaft unterstützt der Bund seit 2021 den Erwerb bestimmter Gerätschaften zur Gülleausbringung. „Auf die Industrie ist das ausgelegt, nur darauf, dass du ein neues Fass kaufst“, sagt Thorsten Hirt. Gebrauchte Technik ist nicht förderfähig, ein Kredit dagegen Voraussetzung. Wer einen Tankwagen auch vermieten oder für andere Bauern Gülle ausfahren will, bekommt nur die halbe Förderung – maximal 20 Prozent der Investitionssumme. Interessierte Landwirte werden im Losverfahren ausgewählt. Familie Hirt ging leer aus. „Man kann nicht sagen: Der kriegt es, der kriegt es nicht“, sagt der Junior. „So läuft das normal nirgends, das ist total hirnlos.“

Inzwischen sind Tankwagen nicht mehr förderbar. Zuschüsse gibt es noch für Schlauchverteiler-Technik oder den Gülle-Selbstfahrer, ein motorisiertes Gefährt mit Tank. Seine einzige Bestimmung besteht darin, flüssigen Mist streifenförmig auf der Erde abzulegen. Mit einer Viertelmillion Euro ist man dabei.

Nach Daten von 2019 sind 135.000 Landwirtschaftsbetriebe von den verschärften Anforderungen betroffen. Sie sollen Gülle, Jauche und Co. nicht mehr versprühen. Als das Landwirtschaftsministerium den Bundesrat um Zustimmung zur Düngeverordnung ersuchte, legte es eine Kostenrechnung vor. Demnach beträgt der Mehraufwand 6,1 Millionen Euro pro Jahr in der gesamten Branche oder fünf Cent je 1000 Liter Gülle. Kann das sein?

Thorsten Hirt greift zum Taschenrechner: „Fünf Cent pro Kubikmeter sind keine 300 Euro im Jahr für mich. Das wäre ja gar nichts. Das ist total unrealistisch!“ Auf Anfrage heißt es aus dem Bundesministerium: Die „Zahlen beruhen auf damaligen Berechnungen und Schätzungen der Bundesforschung“. Branchenzahlen zu den tatsächlichen Ausgaben seien nicht bekannt.

Kühe

Damit seine Tiere keine Gülle fressen müssen, hat Thorsten Hirt jetzt einen Separator gekauft. Der soll die Gülle von ihren Feststoffen befreien. Die besonders flüssige Brühe zieht dann besser in den Boden ein. Kostenpunkt: 50.000 Euro. Hirt hat das große Los gezogen: Der Staat gibt 20.000 Euro dazu. Und so heißt es nun arbeiten, um die Maschinen zu bezahlen.

Woanders rede man über die 35-Stunden-Woche. Nicht so auf dem Fuchshof: „Ost sind die 35 Stunden schon am Mittwoch voll“, sagt der junge Bauer. Das Damoklesschwert der Banken schwebt über den Feldern. Es bleibt wenig Zeit, über alternative Wege nachzudenken oder etwas auszuprobieren. Hat Thorsten Hirt eine Vision für die Landwirtschaft? „Schwierige Frage.“ Er sagt: Schön wäre es, wenn der Wachstumszwang ein Ende finden würde. Wenn die Höfe ihre Größe beibehalten könnten, ohne finanzielle Nachteile zu erleiden.

Bei Familie und Kindern zu sein, gemeinsam zu essen morgens, mittags und abends, das sei das Privileg seines Berufs, sagt Thorsten Hirt zum Abschied an der Tür. Flocke für Flocke legt sich eine weiße Decke über das Land. Äcker und Wiesen verschwimmen. Der Winter macht alle gleich. Der Boden muss die Ernte liefern, damit sich sein Herr über Wasser halten kann. Nun kann das Land verschnaufen, bis der Frühling kommt.

Anmerkung: Die Namen der besuchten Landwirte und Gehöfte wurden redaktionell verändert.

Dieser Bericht erschien zuerst am 5. Februar 2023 in der Berliner Zeitung.

Hakon von Holst ist Student an der Freien Akademie für Medien und Journalismus.

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