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Nachruf | 17.02.2023
Russkaja, das Ende
Russkaja, 2005 in Wien gegründet, gibt das Band-Aus bekannt. Ska, Rock und Polkabeats im Sowjet-Stil? Heute ein Unding. Zeit fürs Abschiednehmen.
Text: Antje Meyen
 
 

Meine Geschichte mit Russkaja beginnt 2008. Ein warmer Donnerstag Ende Mai. In der Münchner Studentenstadt feiert das StuStaCulum 20. Geburtstag. Okay, das hatte ich vergessen, aber das Stöbern in alten Presse-Infos lohnt sich. „Der Eintritt bleibt mit drei Euro für alle vier Tage gewohnt günstig und den Festivalbesucher erwarten wie jedes Jahr 500 Künstler und an die 100 Darbietungen“, schreiben die Veranstalter. Günstig und genderfrei. Highlight am zweiten Abend: Russkaja, 23:30 Uhr, Hans-Scholl-Halle. Auf der Festivalseite so angekündigt:

„Russkaja – der Name ist Programm und sagt an sich schon alles: ‚Russ‘ wie russische Nächte, russisches Feuer, russische Tiefe, russische Seele. ‚Ska‘ wie Tempo, Bewegung, Musik. Und ‚ja‘ wie ‚Ja“! Denn ein Nein wird nicht akzeptiert. Jedenfalls nicht auf der Tanzfläche: Die siebenköpfige Band ruft überall typische Verhaltensmuster hervor: Springen, Tanzen, Klatschen, Jubeln, Singen, vom ersten Takt bis zur letzten Zugabe. Erlebt Russkaja live!“

Kein Wort übertrieben. Einfach wild tanzen – wann hatten wir das zum letzten Mal gemacht! Die eigene Studentenzeit lange her, aber nun das erste Kind aus dem Haus und das zweite alt genug, um den Eltern einen Konzertabend zu erlauben. Russkaja zog dann bei uns ein. Die CD Kasatchok Superstar liegt noch heute immer dann im Player, wenn gute Laune gefragt ist. Wir haben Besucher damit genervt und manchmal auch begeistert. Wie unseren Freund Ivan aus Barcelona. El pueblo unido – der gerade aktuelle Russkaja-Song gefiel ihm so gut, dass er sogar die Bonus-DVD sehen wollte. Das war 2015.

Ein Jahr später hüpft, schreit und feiert München Russkaja beim Free & Easy im Backstage. Damals stand die Location auf der Kippe – laute Musik stört teures Wohnen in der Nachbarschaft. Das Backstage hat die Angriffe überlebt und auch Corona. Im Sommer 2020 wagte es eine kleine Konzertreihe. Musikhören im Sitzen. Acht Leute kuschlig eng an einem Biertisch. Fürs Getränkeholen oder den Weg zur Toilette ist die Maske Pflicht, Aufstehen ansonsten streng verboten. Grimmige Wachleute drücken jeden Aufmüpfigen sofort nach unten. Russkaja oben auf der Bühne spielt mit angezogener Handbremse. Sorry Leute, die Regeln! Bis wieviel Dezibel Lautstärke erlaubt war, weiß ich nicht mehr. Es hält trotzdem niemanden auf den Bänken, wir hüpfen im Sitzen eine Art Polonaise rund um die Tische.

Bildbeschreibung

Und ahnen, dass es unser letztes Russkaja-Konzert ist. Schon im 20er Sommer war die Welt aus den Angeln. Auch danach regierte Corona weiter, dann kam der Krieg. Kurz vorm Start der 2023er Tour verkündet Russkaja nun das Band-Aus. Kein Platz mehr für Musik mit russischer Seele, für feine Ironie in den Texten wie in Here is the News:

Good evening ladies and gentlemen / Here is the news / In this world that's becoming darker and darker / You can't trust anyone but us / It's propaganda time / Turn off the screen / Don't believe a thing they say / They tell you lies / I can see it every day / The world is sick / But it's all inside your head / 'Cause you believe what the pretty lady says / Here is the news / It's propaganda / Here is the news / We're going under / Here is the news / It's propaganda time

Russkaja schreibt auf der Band-Webseite: „Die Zeit ist gekommen, um aufzuhören. Wir haben Anti-Kriegs- und Peace-Statements abgegeben. Bei jedem Konzert war die erste gesungene Textzeile ‚Hey Moscow – let’s stop this fucking war!‘ ... Wir sehen, dass dieser Krieg nicht mehr so schnell aufhört und auch wenn er das tut, ist das Sowjet-Image für immer beschädigt und tabuisiert. Russkaja ist auch ein Ziel im Internet geworden, jeden Tag Shitstorms und mit jedem Single-Release eine Flut von Hasskommentaren. Textzeilen werden falsch interpretiert und als pro-russisch dargestellt. Die Band wird als russische Terroristen hingestellt, obwohl wir das genaue Gegenteil davon sind und mit unserer multikulturellen Herkunft mit Mitgliedern aus der Ukraine, aus Italien, Deutschland und Österreich maximal für Frieden, Diversität & Zusammenhalt stehen.“

Was hinterlässt Russkaja? Für die Fans das neue, letzte Album Turbo Polka Party. Für die Musikszene eine große Lücke. Und für viele die Gewissheit, dass eine Band wie Russkaja nicht in die neue Welt passt. Vielleicht trotz allem: Doswidanja!

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Bildquellen: Antje Meyen