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Rezension | 28.12.2022
7 vs. Wild: Das bessere Dschungelcamp
Eine Überlebensshow begeistert das Netz, weil sie die Schwächen unseres Wohlfühlsystems aufzeigt: Technik und Überfluss sorgen für Unterforderung und Frust.
Text: Aron Morhoff
 
 

Den Satz „Ich könnte keine 24 Stunden im Wald überleben“ haben schon viele vor sich hergesagt. Homeoffice, Lieferdienste und Netflix. Da holt einen oft die bittere Erkenntnis ein, dass der moderne Mensch, zu dem wir uns notgedrungen zählen, den harten Überlebenskampf längst aufgegeben hat – weil er gewonnen scheint. Keine 24 Stunden, sondern ganze sieben Tage müssen die Protagonisten in einem neuen YouTube-Format in der Wildnis überleben. Die Ausstattung: lediglich sieben Gegenstände. 7 vs. Wild heißt der Internet-Hit, der aktuell für die höchsten Klickzahlen im deutschsprachigen Raum sorgt und einen regelrechten Survival-Trend ausgelöst hat. Die Idee: Sieben Männer werden unabhängig voneinander mit verbundenen Augen in einem schwedischen Wald ausgesetzt. Ihren Versuch, sieben Tage durchzuhalten, dokumentieren sie mit GoPro-Kameras. Für die Sicherheit ist natürlich gesorgt: Wer sich ernsthaft verletzten sollte, einen Giftpilz verspeist oder unterkühlt, hat Zugriff auf ein Notfallhandy. Wer davon Gebrauch macht, wird von einem Hilfstrupp gerettet, scheidet jedoch aus.

Neander-Digitaler

Dass die Zuschauer das Format goutieren, verwundert nicht, befriedigt es doch einen gewissen Abenteuermangel, wenn auch nur in der Projektion. Ein Feuer zu entfachen, einen Fisch zu fangen oder für ein trockenes Obdach zu sorgen, sind nicht erst für die Generation TikTok verlernte Fähigkeiten. Schon nach wenigen Minuten identifiziert man sich mit den erwähnenswert sympathischen Protagonisten: Hätte ich diese Angel gebaut bekommen? Wie hätte mein Lagerplatz ausgesehen?

Die intrusive Wirkung der Sendung 7 vs. Wild – man könnte auch sagen, der Suchtfaktor – geht allerdings vor allem auf ihre Schlichtheit zurück. Alles, was der Zuschauer zu sehen bekommt, sind Männer allein im Wald. Es gibt keine Schnitte, keine Dialoge, keine Künstlichkeit, kein Make-up und (fast) keine Musikuntermalung. Das ist in Zeiten, in denen Reels, Shorts und Kurzformate die Oberhand haben und ein Video spätestens „weggeswipt“ wird, wenn es mehr als fünf Sekunden ohne Effekt, Geräusch oder Schnitt auskommt, ein neu entdeckter Genuss für Augen und Ohren. Hinzu kommt der fehlende Trash-TV-Faktor. Erinnert das Format formal zwar unverkennbar an das Dschungelcamp (vermutlich das Königsformat der geschmacklosen Abstiegsunterhaltung), so ist es doch gleichzeitig ein Gegenentwurf. Das Überleben im schwedischen Wald wird ungemein authentisch und nahbar dargestellt, es braucht keine Zooms auf feuchte Augen, künstlich herbeigescriptete Tränen-Dialoge oder Fake-Streitereien, die am nächsten Tag bei RTL, Pro7 und BILD wiedergekaut werden.

Tolle Typen

Stattdessen wird das entschleunigende Experiment von Typen wie "Survival-Mattin" getragen, einem Bullen von Mann, handwerklich begabt, der sich mit Stock, Schnur und Haken am ersten Tag zwei Fische fängt. Exemplarisch zeigt Mattin die Qualität und Tiefe von 7 vs. Wild auf, zum Beispiel wenn er abends den Tränen nahe ist und der Kamera gesteht, dass er nicht gut allein sein kann und seine Familie vermisst.

Ein weiterer Sympath mit Grips und gleichzeitig Schöpfer des Formats ist der 33-jährige Fritz Meinecke. Ein klassischer Macher mit Bankkaufmannslehre, Dienst bei der Feldjägertruppe und einer Ausbildung zum Digital-Artist. Dem kernigen und wortgewandten Mann, der die Finanzierung des aufwendigen Projekts unter Corona-Bedingungen stemmte, ist ein Dank auszusprechen – dafür, das Reality-Genre wiederbelebt zu haben und ihm ein Hirn einzupflanzen.

Erfinder mit Ecken und Kanten

Und dafür, Gegenwind auszuhalten. Denn wie jeder, der dem Zeitgeist auch nur geringfügig etwas entgegenzusetzen hat, wird auch Meinecke von gewissen Kreisen dämonisiert. Wikipedia weiß von einer Instagram-Story, die im Juli „für öffentliche Diskussionen“ sorgte. Meineckes Verbrechen? Er hat von einer „völlig verweichlichten Gutmenschengesellschaft“ gesprochen und davon, dass ihm das alles „auf die Eier“ gehe. Wenn er jedes Mal sagen würde, was er denke, würde er wohl überall gebannt werden. Das dürfte einige Überkorrekte, die der empörte Zeitgeist hervorbringt, wohl freuen.
Hoffen wir, dass er noch für viele weitere Unterhaltungsmomente sorgen kann. Denn sie haben den Namen verdient.

7 vs. Wild erscheint auf dem YouTube-Kanal Fritz Meinecke. Eine Folge dauert rund 60 Minuten. Die erste Staffel spielte 2021 in Schweden. Die aktuelle, zweite Staffel spielt in Panama. Die jüngste Folge erschien am 15. Dezember 2022.

Panama

Aron Morhoff ist Student an der Freien Akademie für Medien & Journalismus.

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Bildquellen: Sebastian, Geralbe, Pixabay