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Interview | 27.04.2024
„Wir müssen zusammen kämpfen!“
Der Frühling ist da und mit ihm die Frage, was von den Bauernprotesten geblieben ist. Antworten von einem, der ganz vorn mit dabei war.
Text: Jan Schulz-Weiling
 
 

„Nit schwätze, mache!” Erwin Wagner (67) sagt von sich, er sei „kein Mensch von der Stange“. Warum es den südbadischen Landwirt im Ruhestand immer wieder auf die Straße treibt und was sich dringend ändern muss, erzählt er im Gespräch mit Jan Schulz-Weiling.

Herr Wagner, im Winter gab es in Deutschland die größten Bauernproteste aller Zeiten. Was haben die Bauern erreicht?

Nicht viel, das ist das große Problem. Eigentlich haben wir nur den Staat belohnt, indem wir noch mehr Diesel verfahren haben als sonst. Klar, die grüne Nummer können wir jetzt noch behalten, aber das ist ja nur eine Frage der Zeit. Wir werden hingehalten. Wir haben gezeigt, was wir bewirken könnten. Das ist geblieben. Von der Sache selber hat die Politik noch nichts gelernt.

Was wäre das zum Beispiel?

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Hier im Süden haben wir eine kleinteilige Landwirtschaft. Die Maschinen sind aber genauso teuer wie überall sonst. Die Betriebskosten sind extrem hoch. Vom eigentlichen Produkt vom Feld kann eigentlich keiner mehr leben. Fast alle machen noch was nebenher.

Versteht man Ihre Sorgen in der Stadt?

Weihnachten rufen die Leute an und fragen, ob mein Maislabyrinth geöffnet hat. Das ist wirklich schlimm, da fehlt Aufklärungsarbeit, der Bezug zur Landwirtschaft! Wir sind so weit weggekommen von allem. Die Menschen wissen nicht mehr, was unser Grundstock ist.

Die Menschen haben vergessen, wie sich schlechte Zeiten anfühlen?

Genau! Es gibt nix Schlimmeres, als wenn man Hunger hat! Aber wir kennen das nicht mehr. Unsere Läden sind immer voll. Politik und Verbraucher müssen wieder verstehen, dass es ohne uns nicht geht.

Das zieht Sie immer wieder auf die Straße.

Mein Großvater war schon ein Kämpfer. Er hat anscheinend mehrmals im Dorfkerker gehockt, weil er sich gegen Hitler gestellt hat. Im eigenen Dorf hat man ihn angezeigt. Ich habe mich schon oft gefragt, warum muss ich mich gegen alles aufstellen, warum kämpfe ich so? Ich hab’s geerbt. Ich hatte eigentlich keine Lust mehr, aber dann war ich wieder zu weit vorne, wie immer, und schon war ich wieder mittendrin.

So schnell kann’s gehen.

Ja, und wenn ich etwas mache, mache ich’s recht oder ich lasse es bleiben. Es geht darum, dass alle mitmachen! Ob Handwerksbetriebe oder Krankenhäuser, es ist doch überall genauso wie bei uns. Ich sage schon seit Jahren: Wir müssen zusammen kämpfen! Gerade das Pflegepersonal. Ich habe selber erlebt, wie es in Krankenhäusern abgeht. Das muss man am eigenen Leib erleben, damit man mitreden kann.

Jetzt gab es im Winter Zustimmungswerte für die Bauernproteste von bis zu 81 Prozent. Dann ging es aber nahtlos weiter mit den Demos gegen rechts. Statt gegen die Regierung ging es nun gegen die Opposition. Was bedeutete das für die Bauern?

Erstmal hat es ja auch uns Bauern erwischt. AfD-nah, rechts. Mich rückt man auch schon in diese Richtung. Wenn man dagegen ist, ist man rechts. Man darf eigentlich nichts mehr hinterfragen. Und das finde ich ganz schlimm. Natürlich möchte ich nur friedlich demonstrieren.

Und dann gingen die Demos gegen rechts los.

Ja, wir wurden hingehalten und haben nichts erreicht. Dann ging das los. Das war doch gezielt. Dadurch hat man uns Bauern den Wind aus den Segeln genommen. Da waren dann viele auf der Straße. Klar, ich will das auch nicht, aber ich muss doch die Probleme lösen. Wenn ich auf die Straße gehe, will ich Erfolge sehen, sonst hör ich auf. Wir machen uns doch lächerlich.

Und jetzt?

Das habe ich von meinem Vater gelernt. Laufen lassen. Irgendwann knallen wir dann an die Wand, fliegen runter und lernen, wieder aufzustehen. Das war schon nach dem Krieg so. Aber das kann’s doch nicht sein. Uns geht’s so gut! Warum können wir das nicht halten? Was die Politik im Moment macht, nicht nur in der Landwirtschaft ... So viele Menschen sind unzufrieden. Wenn die Masse mal ins Rollen kommt, ist sie ganz schwer aufzuhalten.

Sie kandidieren bei der Kommunalwahl im Juni für die Freien Wähler. Was wollen Sie erreichen?

Wir hoffen, dass wir reinkommen. Ansonsten schau ich, dass ich mein Rentnerleben genießen kann. Ich kann nicht die Welt retten, einfacher wär’s mitzulaufen. Aber ich will dafür kämpfen, dass der Mittelstand, also diejenigen, die mit ihren Händen arbeiten, in Freiburg und Umgebung gehört werden. Die Richtung ändern, aufs Alte zurückkommen. Nicht immer nur noch größer, noch schneller. Das Ganze wieder entzerren und uns auf den Grundgedanken besinnen: Was wollen wir? Vielleicht auch mit weniger zufrieden sein. Zurückkommen auf das, was wirklich wichtig ist. Gesundheit, Lebensmittel.

Welche drei Dinge würden Sie sofort angehen, wenn Sie Landwirtschaftsminister wären?

Erstens: die Grundversorgung sicherstellen im eigenen Land. Natürlich vor allem die Ernährung, aber da hört’s ja nicht auf. Wir holen ja alles aus Billigländern, wir sind zu teuer. Zweitens: den Bürokratismus abbauen. Wir machen alles so schwierig, dass wir uns nur noch selber im Weg stehen. Jetzt müssen wir jeden Schritt fünfmal dokumentieren, das ist doch alles idiotisch. Wir sagen, wir haben keine Leute zum Arbeiten. Warum? Weil zu viele im Büro sitzen und bürokratischen Unfug machen, den kein Mensch braucht. Natürlich muss man aufpassen, aber wie bei allem halt, mit gesundem Menschenverstand. Aber den gibt’s bei uns nicht mehr. Drittens: Lebensmittel, die nach Deutschland eingeführt werden, müssen unsere Standards haben. Dann würde sich vieles regeln. Anderswo ist der Mindestlohn viel niedriger. Die Unterschiede muss man sehen. Mit dem billigen Weltmarkt können wir nicht konkurrieren.

Bräuchten die Bauern dann noch Subventionen?

Nein. Für wen sind denn die Subventionen? Das wird meist falsch erkannt. Die Subventionen sind für die Verbraucher. Das Produkt wird dem eingeführten Lebensmittel angeglichen. Um den Preis unten zu halten. Klar, wer nur ausländisches Zeug kauft, der ist nicht betroffen. Nur diejenigen, die deutsche Ware kaufen.

Was ist mit dem Handel?

Den müsste man auch anklagen. Je größer die Betriebe werden, desto mehr Macht haben die. Aldi, Edeka, egal wie sie heißen. Die diktieren die Preise. Es werden immer weniger, ich kann zu keinem anderen mehr. Für mich gibt es hier schon Preisabsprachen zwischen den Großen, sind ja nicht mehr viele. Die sind sich einig. Da müsste man was ändern. Die Preise müssten gesichert sein und nicht unter ein gewisses Niveau fallen. Sonst sehen wir ja, was passiert. Die Höfe sterben, das ist leider so.

Sind Sie in einem Bauernverband organisiert?

Nein, nur im LsV, also Landwirtschaft schafft Verbindung. Das ist auch so ein Thema. Früher war ich im Bund der Milchviehbauern. Die Verbände sind zu weich, haben Angst, Regeln zu verletzen. Die sind zu sehr an die Politik angebunden. Das war schon vor Jahrzehnten so. Politik ist immer ein Nehmen und ein Geben. Die vom Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverband sitzen halt in Gremien drin. Wir kommen da nicht hin, oder eben nur über die Demos. Der BLHV wird eingeladen, wir als LsV nicht oder viel weniger. Der BLHV ist unsere Berufsvertretung, da läuft aber vieles schief. Die Forderungen werden nicht herzhaft genug gestellt.

Haben die Verbände Angst vor schlechter Presse?

Die Verbände wollen natürlich in gutem Licht dastehen. Da ist die Politik dann wichtiger. Viele arbeiten ja auch hauptberuflich dort. Da muss man sich gut stellen.

War das immer schon so?

Das war immer schon so. Ich weiß noch, wie wir mal bei einem Protest eine Brücke blockiert haben. Vor Jahrzehnten schon. Da hieß es dann vom BLHV, die gehören nicht zu uns. Wir waren mit fünf, sechs Maschinen die einzigen auf der Brücke, die anderen haben vorher angehalten. Die mit der großen Gosche, die sich noch was getrauen, sind da vorgefahren. Werde ich nie vergessen. Der BLHV fährt seine eigene Linie. Ich wollte das immer zusammenbringen, aber irgendwie funktioniert’s nicht. Sehr schade. Wenn wir organisieren, sind doppelt so viele auf der Straße, als wenn der BLHV aufruft.

Müssen die Bauern jetzt bis zum Winter warten, bis sie wieder Zeit haben zu demonstrieren?

Ja, klar. Jetzt gerade ist das Wetter schlecht. Da könnten wir wieder was machen. Aber das Ganze kostet auch Geld! Wir sind ja selbständig. Den Mais können wir nicht im Juli setzen. Die Kartoffelernte muss aus’m Boden raus, wenn die reif sind. Da kann ich nicht sagen, ich geh’ jetzt drei Tage demonstrieren. Von vielen Betrieben hört man, dass sie aufhören, das hat mich arg runtergezogen. Wenn ich sehe, wie viele Nebenerwerbsbetriebe dabei sind, das sind fast nur noch Nebenerwerbsbetriebe. Landwirte, die irgendwo arbeiten und die Landwirtschaft nur noch nebenbei machen. Das ist ganz deprimierend. Das geht jetzt immer schneller, wie ein Rad, das einen Berg runterrollt. Die Auflagen kommen schleichend und brechen einem das Genick.

Wie ist die Stimmung bei den Bauern?

Die ist nicht besser geworden. Wenn ich morgen aufrufen würde, hätte ich wieder genug Leute hinter mir, wenn ich das richtige Thema treffe. Viele Bauern sind aber auch stolz, auch Handwerksbetriebe, Familienbetriebe überhaupt. Sie wollen nicht zugeben, dass es ihnen schlecht geht. Das sind ja Generationenprojekte. Ich habe meinen Hof geerbt von meinem Vater, der von meinem Großvater und so weiter. Auch ich werde ihn wieder vererben.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Dass wir Bauern – ähnlich wie gefährdete Tiere – auch irgendwann auf die rote Liste kommen. Dann werden wir gehegt und gepflegt. Und nicht nur beschimpft. Wir sind überall nur noch im Weg. Das Miteinander muss wieder mehr hervorgehoben werden. Sonst sind wir irgendwann weg und die Flächen werden nicht mehr bewirtschaftet. Oder nur noch durch einen Großkonzern. Und das will doch eigentlich keiner.

Bildquellen: @Autor