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Artikel | 28.02.2024
Zu viel Staatsnähe?
Dies ist ein Auftragstext – angefordert vom Freitag, aber nicht gedruckt aus zwei Gründen: Kontaktschuld (Ex-DW-Herausgeber) + Goebbels.
Text: Michael Meyen
 
 

Staatsfunk sagen manche, wenn sie über NDR und MDR, ARD und RBB sprechen. Andere winken dann sofort ab. Bleibt sachlich, liebe Leute. Lest das Grundgesetz und die Rundfunkurteile. Oder schaut euch an, wer das Ganze bezahlt und kontrolliert. Das sind doch wir. Unsere Leute. Es gibt keine Neuauflage des Reichsrundfunks. Heute ist das Ländersache und staatsfern, Punkt.

Ganz so einfach ist es nicht. Sender, die allen gehören: Das ist eine Nebelkerze. Wenn der Wind weht, kommt ein Parteienstaat zum Vorschein, der nie akzeptiert hat, was er in Sonntagsreden erzählt. Noch einmal anders formuliert: Wer Tagesschau, Nachrichtenmagazine oder Talks im Ersten einschaltet, weil er dort die offizielle Sicht bekommt, hat das Prinzip verstanden. Die Formel öffentlich-rechtlich ist eine Beruhigungspille. Wir sind doch nicht in Nordkorea.

Die Politik gibt diese Plattform nicht frei. Jeder Landesfürst kann sich auf den Fetisch „Länderhoheit“ berufen und auf eine Tradition, die die Sender von Anfang an als Staatsbesitz gesehen hat und damit als Sprachrohr der Macht, geschmückt mit Spannung, Gedudel und Kultur, damit das Volk bei der Stange bleibt. Selbst für Albert Einstein war das einst zu hoch. Erst die Techniker, sagte der Physiker bei der Funkausstellung 1930, machen wahre Demokratie möglich. Das Radio bringe die „feinsten Denker und Künstler“ in jedes Ohr und erwecke „so die Völker aus schläfriger Stumpfheit“.

Nichts gegen Einstein. Vielleicht hat er nicht gewusst, wie der Rundfunk in Weimar organisiert war. Diese große Möglichkeit zur Volksbeeinflussung dürfe nicht Privatfirmen überlassen werden, sagte Karl Stingl, Postminister von 1922 bis 1926. Das Reich war klamm und die Technik noch nicht so weit, um das ganze Land von Berlin aus zu versorgen. Also gründete man neun Regionalgesellschaften und besorgte sich das Kapital von Investoren. Heute würde man sagen: Der Konzernstaat geht auf Sendung. Bei der Mirag hieß der Hauptaktionär Edgar Herfurth – einer der reichsten Deutschen und Besitzer der Leipziger Neuesten Nachrichten, der größten Zeitung weit und breit. Ihre Meldungen bekam die Mirag ab 1926 vom Drahtlosen Dienst, der zu 51 Prozent dem Reichsinnenministerium gehörte und das senden ließ, was der Regierung in Berlin gefiel. Damit in der Provinz nichts schiefgehen konnte, bekamen die Mirag und ihre Pendants Überwachungsausschüsse, besetzt mit Beamten aus Reich und Ländern, die genau das gemacht haben, was der Name des Gremiums versprach. Programmchefs einberufen und absetzen, Sendungen und Manuskripte ablehnen. Die Haushaltsaufsicht lag bei der Post und damit bei der Regierung.

Heute haben die Gremien andere Namen, und die Drähte sind oft so fein, dass man sie nur schwer erkennen kann. Ulrike Demmer, okay. Erst Merkel-Sprecherin, jetzt RBB-Intendantin. Auf den Spuren von Ulrich Wilhelm, der 2010 auf dem gleichen Weg zum Bayerischen Rundfunk ging und in der Drehtür Steffen Seibert traf, ein ZDF-Gesicht, inzwischen Botschafter in Israel. Ich will das hier nicht vertiefen, sondern auf eine Linie verweisen, die von Konrad Adenauer bis zu Markus Söder reicht. Die Parteien haben das Konstrukt öffentlich-rechtlich so verstanden, wie es die Besatzer aus den USA und England durchaus gedacht haben könnten – als eine Einladung, weiterzumachen wie in Weimar und mit Goebbels, das jetzt aber einfach nicht mehr Staatsfunk zu nennen und in den Gremien etwas Bürgerlack aufzutragen.

Die Nachkriegspolitiker trugen das ganz offen vor sich her. Der erste Kanzler scheiterte mit seinem „Deutschland-Fernsehen“ erst vor dem Verfassungsgericht. Jede noch so kleine Einschränkung der Parteimacht in den Räten musste auf dem gleichen Weg durchgesetzt werden. Und: Es gibt heute zwar eine Kommission, die über die Finanzen wacht, die „16 unabhängigen Sachverständigen“ werden aber von den Ländern benannt. Vermutlich steht das Wort „unabhängig“ genau deshalb auf der Webseite gleich im ersten Satz. Das letzte Wort haben ohnehin die Regierungschefs.

Womit wir bei Markus Söder wären. In der Münchner Runde, Bayerns TV-Flaggschiff, sitzt immer ein Minister oder ein CSU-Grande. Fragen und Gäste werden mit der Staatskanzlei abgestimmt. Söder war auch schon da, direkt nach den letzten beiden Wahlen. Jeweils allein, versteht sich. Vermutlich sieht er den Rundfunk einfach als Erbhof. Waldemar Hartmann, ab 1976 Moderator der wichtigsten Nachrichtensendung im Freistaat, hat in seiner Autobiografie von der „Standleitung“ ins Funkhaus berichtet, die jeden Dienstag nach der Kabinettssitzung aktiviert worden sei, wie bei den „roten Genossen von drüben“. Als Hartmann Anfang der 1990er mit seiner Bezahlung unzufrieden war, bekam er sofort einen Termin bei Max Streibl – und „haargenau“ den Vertrag, den er wollte.

Natürlich: Es gibt Journalisten, die den öffentlichen Auftrag ernstnehmen. Objektivität und Unparteilichkeit, sagt der Medienstaatsvertrag. Und: eine „möglichst breite Themen- und Meinungsvielfalt“. Brecht würde antworten: Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so. Zwei von drei Programmachern sind „frei“ oder „fest-frei“. Das heißt: Sie können nie sicher sein, dass es einen neuen Auftrag gibt oder einen Platz im nächsten Dienstplan. Das produziert Konformität und einen Gleichklang, den manche Gleichschaltung nennen und sich dabei auch auf die Forschung berufen können – von Pegida über Corona und Klima bis zur Ukraine und zur AfD. All das kehrt die Beweislast um. Wo ist er, der Rundfunk, der angeblich uns gehört – und zwar uns allen?

Bildquellen: PublicDomainPictures @Pixabay