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Bericht | 13.02.2024
Steuern ohne Logik
Was bedeutet die wieder angehobene Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastronomie? Betroffene aus Rheinland-Pfalz schildern die Lage.
Text: Sylvie Weber
 
 

Nicht nur die Bauern, Spediteure und Handwerker gehen derzeit in Deutschland auf die Straße, sondern auch viele Gastronomen. Die Wirte protestierten gegen die Wiederanhebung der Mehrwertsteuer auf Speisen von 7 auf 19 Prozent. Ein Blick zurück: Der Steuersatz wurde im Juli 2020 auf 7 Prozent reduziert, um die Wirte finanziell zu entlasten. Denn von den Coronamaßnahmen waren Gastronomie und Hotellerie besonders betroffen. Die Steuererleichterung sollte helfen, die Arbeitsplätze in dieser personalintensiven Branche zu erhalten.

Die Rückschau

Im Restaurant „Zum Rebstock“ ging dieser Plan auf. Das Gasthaus in Koblenz-Güls mit sechs Gästezimmern wird von Einheimischen liebevoll „Wackeler“ genannt und hat es wirtschaftlich erfolgreich durch die letzten vier Jahre geschafft: Niemand wurde entlassen. Das seit 150 Jahren bestehende Familienunternehmen ist eine Mischung aus uriger Dorfkneipe und gemütlichem Restaurant – mit angeschlossener Kegelbahn. Im „Wackeler“ wurden die Preise im Sommer 2020 nicht gesenkt. Für Geschäftsführer Hans-Peter Ackermann war die Mehrwertsteuersenkung eine Subvention für die Gastronomie.

Das „Hotel Sander“ in der Koblenzer Innenstadt ist ein modernes, familiengeführtes Stadthotel mit 100 Zimmern. Auch Hoteldirektor Stephan Sandmann konnte die steuerliche Erleichterung nicht an seine Kunden weitergeben, sondern sah es als „Hilfe in der Not, die gutgetan hat“. Durch die Mehrwertsteuersenkung wurden lediglich Preiserhöhungen und Logistikaufschläge aufgefangen. „Und wir konnten alle Arbeitsplätze erhalten“, sagt Stephan Sandmann. Einig ist er sich mit Hans-Peter Ackermann, dass die Harmonisierung der Steuersätze in den letzten drei Jahren positiv zu bewerten ist.

Die Folgen

Seit 1. Januar 2024 gelten nun wieder 19 Prozent Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastronomie. „Eine durch den Gesetzgeber von vornherein befristete Maßnahme, um die akuten Krisenfolgen für die Speisegastronomie zu mildern“, nennt ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums die Steuersenkung. Es benötigte deshalb kein neues Gesetzgebungsverfahren, um die Reduzierung zurückzunehmen.

„Wackeler“-Geschäftsführer Hans-Peter Ackermann sagt, dass er seine Preise nicht an die wechselnden Steuersätze angepasst hat: „Ich hab sie damals nicht gesenkt und ich hab sie auch jetzt nicht erhöht, sondern einfach gleich gelassen.“ Unabhängig von der Steuer hat er seine Preise im Gasthaus in den letzten vier Jahren einmal erhöht und hofft, diese auch weiter stabil halten zu können.

Stephan Sandmann hingegen sieht keine Erleichterung bei den derzeitigen Preisen, sodass er gezwungen ist, die Erhöhung zu einem großen Teil an die Gäste weiterzugeben. „Die Kunden reagieren mit viel Verständnis.“ Durch die Teuerungsraten und die Inflation sei es auch sehr schwer, Preiserhöhungen und Steuerlast voneinander zu trennen. „Nun haben wir außerdem wieder den Irrsinn, dass ein Schnitzel im Restaurant 19 Prozent Steueranteil hat und das gleiche Schnitzel vor der Tür nur 7. Als Wirt muss ich also entweder Verlust beim Gast am Tisch hinnehmen, dem Außer-Haus-Gast zu viel Geld abnehmen oder mit zwei Preisen arbeiten. Man kann es aber auch wie die Systemgastronomen machen und einfach zwei Tasten auf der Kasse haben, ganz viel für 7 Prozent eintippen und nur ab und an mal 19, damit es nicht so auffällt.“

Das Problem

Das Bundesfinanzministerium berechnete die Steuermindereinnahmen durch die Mehrwertsteuersenkung auf Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen bundesweit auf 3,4 Milliarden Euro für 2022 und 2023. Im November 2023 hatte das Verfassungsgericht die geplante Umschichtung der nicht ausgegebenen Coronagelder in den Klima- und Transformationsfonds für widerrechtlich erklärt. So fehlten auf einmal 60 Milliarden Euro im Bundeshaushalt – die hektische Suche nach Einsparpotenzialen begann. Neben dem Auslaufen der Dieselsubventionen für die Bauern wurde so auch die Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastronomie wieder angehoben.

Wie die Bauernverbände stellte sich auch die Interessenvertretung des Deutschen Hotel- und Gaststättengewerbes, die DEHOGA, gegen diese Entscheidung. In ihrem „Zahlenspiegel III/2023“ ist der Umsatzrückgang im Vergleich zu 2019 klar zu erkennen. 2020 und 2021 gab es knapp 40 Prozent Umsatzeinbußen, in den Jahren 2022 und 2023 liegt der Rückgang bei 12 Prozent. Die Gastronomie schreibt also immer noch rote Zahlen.

Laut einer Umfrage der Bundesgeschäftsstelle der DEHOGA befürchtet jeder dritte Betrieb, in die Verlustzone zu rutschen. Ein weiteres Drittel wagt keine Prognose und nur ein Drittel denkt, sich am Markt behaupten zu können. Die DEHOGA spricht von bundesweit mindestens 12.000 Betrieben, die aufgrund der Steuererhöhung vor dem Aus stehen – vor allem kleine und mittelständische Familienbetriebe. Die Situation in Rheinland-Pfalz ist nicht besser. Gereon Haumann, DEHOGA-Präsident für Rheinland-Pfalz, erwähnt eine Befragung, in der 7,5 Prozent der Betriebe von einer gefährdeten Existenz sprechen. Bei 10.000 Gastronomen in dem vom Tourismus stark abhängigen Bundesland wären das 750 Betriebe. Haumann sagt aber auch, dass nach seinen Erfahrungen viele Betriebe ihre Zukunftsfähigkeit eher zu positiv einschätzen. Er rechnet mit 500 bis 2.000 Betrieben, die in ihrer Existenz gefährdet sind.

Der Unmut

Die befragten Gastronomen sind von der Wiederanhebung der Mehrwertsteuer nicht begeistert. Aber noch gravierender ist für sie das alte Problem der unterschiedlichen Besteuerung. Steuerungerechtigkeit führt zu Unmut. Hans-Peter Ackermann vom „Wackeler“ stört, dass „die Systematik bei der Steuer einfach vollkommen verloren gegangen ist. Die Mehrwertsteuer ist eine Steuer, die unheimlich kompliziert ist.“ Im Gegenzug sieht er Probleme bei einer Änderung: „Warum kann man da nicht reformieren? Egal, wem du etwas wegnimmst – du kriegst auf die Fresse.“

Im „Hotel Sander“ ist der organisatorische Aufwand für die Wiederanhebung der Steuer zwar überschaubar. Aber die steuerliche Ungleichbehandlung bemängelt auch Stephan Sandmann. Er war froh, als 2020 die „merkwürdige Besteuerung desselben Artikels in Abhängigkeit vom Verzehrort endlich gleichgesetzt“ wurde. Auch für Gereon Haumann ist die Unterscheidung zwischen Außer-Haus-Verkauf und Bewirtung im Restaurant sinnlos: „Es müsste eher umgekehrt sein, um erstens Verpackungsmüll zu vermeiden und zweitens die Betriebe, die Personal, Miete und Lagerkosten haben, zu entlasten.“ Haumann weist darauf hin, dass es diese Unterscheidung in keinem anderen Land gibt. Also wäre auch für eine EU-weite Harmonisierung der niedrigere Steuersatz auf Speisen wünschenswert: In Europa gilt dieser in 21 von 27 Ländern.

Die Politik

Nicht zu vergessen sind die Versprechen der Politik, die mit der Wiedereinführung der 19 Prozent auf Speisen gebrochen wurden. Finanzminister Christian Lindner behauptet immer noch, dass die Steuern 2024 nicht erhöht werden. Die Rücknahme einer Senkung zählt für ihn nicht als Steuererhöhung. Diese semantische Trickserei ärgert die betroffenen Gastronomen.

Auch Kanzler Olaf Scholz fällt sein Wahlversprechen von 2021 auf die Füße. Scholz damals: „Und ich will ihnen gern versichern, ich habe dieser Verlängerungsentscheidung zugestimmt und der Einführung in dem sicheren Bewusstsein: Das schaffen wir nie mehr ab. Also das ist jetzt etwas, was für die Gastronomie auch gelten soll und da können sie sich auch drauf verlassen.“ Schnee von gestern. „Was macht er für Aussagen, wenn er doch überhaupt nicht weiß, wie die Entwicklung ist. So eine Vorhersage zu machen, ist vollkommen blöd“, sagt Hans-Peter Ackermann vom „Wackeler“. Stephan Sandmann findet es „sehr schade und erschreckend, wie viele Regierungsmitglieder ihre Versprechen und Zusagen vergessen, wenn keine Wahlen anstehen“. Ein Regierungssprecher wischt die Verantwortung weg und betont, dass alle drei regierenden Parteien gemeinsam gehandelt haben: „Hintergrund dieser Entscheidung ist unter anderem, dass die Energiepreise – und damit auch die Belastungen für die Gastronomie – wieder deutlich gesunken sind. Schneller als im Jahr 2022 anzunehmen war.“

Für Gereon Haumann steht die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung auf dem Spiel. „Die Bevölkerung und unsere Branche haben auf diese Zusagen vertraut.“ Er analysiert die Situation wie folgt: „Tausende kleine familiengeführte Betriebe des Gastgewerbes müssen nun unter den Taschenspielertricks der GRÜNEN leiden, die das Bundesverfassungsgericht als rechtswidrig entlarvt hat. Für diese Fehler nun fast zweihunderttausend familiengeführte klein- und mittelständische Betriebe des Gastgewerbes in die Haft zu nehmen und zur Rechenschaft zu ziehen, ist mehr als unfair, ungerecht und die zweite fatale Fehlentscheidung dieser Bundesregierung im Umgang mit dem Corona-Sondervermögen und dessen Folgen.“

Die Zukunft

Noch sei die Zeit zu kurz für eine Folgenabschätzung, so Thomas Hammann, Vorsitzender der Wirtschaftsförderung der Stadt Koblenz. Er habe gehört, dass gastronomische Betriebe angefangen hätten, ihr Mittagstisch-Angebot zu verkleinern oder einzustellen. Gereon Haumann gibt weitere Tipps für die gebeutelten Gastronomen: Eine verbesserte Materialwirtschaft, optimale Preiskalkulation oder kleinere Portionen können helfen, die Verluste auszugleichen. Aber keine Abstriche an der Qualität, um den guten Ruf der Gastgeber in Rheinland-Pfalz nicht zu zerstören. Am wichtigsten ist für ihn die Kommunikation mit dem Gast: Klarmachen, dass die Mehreinnahmen zum Finanzminister gehen und nicht ins Portemonnaie des Wirts.

Der Text entstand im Rahmen eines Kurses zum Thema „Bericht“ an der Freien Akademie für Medien & Journalismus.

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