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Bericht | 11.01.2024
„Wir stehen voll hinter den Bauern“
Protest in Müllheim im Markgräflerland: Gemeinsam auf die Straße, weil es ums Ganze geht
Text: Jan Schulz-Weiling
 
 

Die Temperatur liegt ein paar Grad unter dem Gefrierpunkt am 10. Januar. Schnee hüllt das wärmeverwöhnte Markgräflerland in der Rheinebene in eine dichte Decke. Trotzdem trafen sich am Vormittag mehrere Hundert Landwirte in Neuenburg, das nur einen Steinwurf von Frankreich entfernt liegt, zu einer Protestfahrt ins benachbarte Müllheim. Die Polizei hat 214 Fahrzeuge gezählt, davon 184 Traktoren. Der Veranstalter spricht sogar von mehr als dreihundert Fahrzeugen und einer Zuglänge von fünf Kilometern. Bis alle Fahrzeuge die Stadt passiert haben, vergeht fast eine Dreiviertelstunde.

„Als Landwirt muss man Idealist sein“

„Sie säen nicht, sie ernten nicht, aber sie wissen alles besser!“ steht auf einer Zugmaschine. Einer der freiwilligen Ordner, der gemeinsam mit der Polizei den einfahrenden Aufzug koordiniert, erklärt: „Als Landwirt muss man Idealist sein.“ Der Beruf sei mit keinem anderen vergleichbar. Nirgends sonst arbeite man so viele Stunden. Trotzdem könnten viele Bauern nur noch im Nebenerwerb tätig sein, weil unterm Strich so wenig Geld dabei herumkommt. Die Dieselfrage sei dabei nur das I-Tüpfelchen gewesen. Der Polizist, der danebensteht, nickt. Als Privatmensch seien für ihn die Belange der Bauern gut nachvollziehbar. Die Regularien würden immer schlimmer, das könne sich keiner mehr leisten. Außerdem sei ein Großteil der Bevölkerung immer mehr von der Realität auf dem Feld entfremdet: „Die jungen, nachwachsenden Generationen lernen das nicht mehr. Wann gibt’s saisonal welche Nahrungsmittel zu essen. Das muss wieder mehr in Kindergärten und Schulen vermittelt werden.“ Darüber hinaus mache die Landwirtschaft viel dafür, die Landschaften offenzuhalten. Die Menschen vor Ort und die vielen Touristen, die nach Südbaden kämen, die profitierten dann davon. Die Mountainbiker, die Wanderer.

Daumen hoch

Überall an der Straße stehen Passanten und schauen dem Treiben zu. Viele heben den Daumen und winken. Man kennt sich, man begrüßt sich. Ein Passant fragt, für welche Zeitung der Bericht sei. „Sind die alternativ? Ja? Gut! Die Politik erhöht wieder überall die Preise für die Klimalüge.“ Er ärgert sich über Versuche, die Bauern in ein schlechtes Licht zu rücken.

Ärger über mediale Feindbilder

Etwas weiter lehnt ein Gastronom lachend die Aufforderung eines Bekannten ab, hinten auf der Ladefläche mitzufahren. Er habe großes Verständnis für die Anliegen der Bauern. Spätestens seit Corona sei nichts mehr, wie es war. Die einkassierte Mehrwertsteuerreduktion für Gaststätten sowie die große finanzielle Last, die man noch aus der Zeit der Restaurantschließungen mittrage. „Ein Kollege von mir musste dreißigtausend Euro Soforthilfen zurückzahlen. Der hat sein Café jetzt schließen müssen.“ Er ärgert sich über mediale Feindbilder. Er zeigt ein Bild auf seinem Handy mit einem nasebohrenden Ralph Wiggum aus der TV-Serie Die Simpsons. Darunter steht: „Mein Fernseher hat gesagt ich muss nun die Ungeimpften, Russen, Palästinenser, Bauern hassen.“ Er kenne viele der Landwirte persönlich, von denen sei keiner rechts, keiner ein Nazi. „Ich bin selbst Ausländer, meine Eltern sind vor 40 Jahren nach Deutschland gekommen. Aber ich will, dass die hier erwirtschafteten Steuergelder auch hier ausgegeben werden. Die Regierung schürt mit ihrer Ausgabenpolitik die Wut. Nicht der Flüchtling ist schuld, die Regierung ist schuld.“

Es geht um alles

Vom Aufzug ist noch kein Ende in Sicht. Slogans rollen vorbei. „Es geht nicht um Diesel! Es geht um unser aller Zukunft!“ Auf einem Tankwagen prangt: „Energie muss bezahlbar bleiben! CO2-Steuer? GEG? Lkw-Maut?“ Vor einer Apotheke stehen mehrere Mitarbeiterinnen und winken. „Dieser Protest ist schon längst überfällig gewesen. Wir stehen voll hinter denen!“ Eine Kollegin betont den super Zusammenhalt unter den Bauern und der Bevölkerung.

„So macht Demonstrieren Spaß“

Dann ist der Aufzug durch, die Fahrer stellen ihre Maschinen ab und kommen zum Kundgebungsort am Markgräfler Platz. Dort läuft Countrymusik, es gibt Wurst- und Leberkäsweckle. Der Großteil des Erlöses soll an die Tafeln gespendet werden. Der Einsatzleiter der Polizei ist mit der Kooperation zwischen Fahrern, Ordnern und Beamten hochzufrieden: „So macht Demonstrieren Spaß, damit können Sie mich ruhig zitieren.“ Auch von Teilnehmern gibt es Lob: „Die Polizei ist unser Partner, die machen auch nur ihren Job.“ Die Reaktionen der Menschen auf die Bauern beim Vorüberfahren seien fast durchweg positiv.

Bildbeschreibung

Den Druck hochhalten

Einige Bauern waren bereits am Montag in Freiburg unterwegs. Man spüre schon einen kleinen Unterschied zwischen Stadt und Land. „Je größer die Stadt, umso größer auch die Entfremdung von der Landbevölkerung.“ Es gebe jedoch insgesamt eine hohe Akzeptanz. Jetzt sei es wichtig, den Druck hochzuhalten. „Es ist auch gut, zusammenzukommen. Als Bauer ist man oft Einzelkämpfer. Die Gemeinschaft tut uns gut, man merkt, dass man mit seinen Sorgen nicht allein ist.“

Gestern systemrelevant, heute Klimakiller?

Mit ein bisschen Verspätung – die Anzahl der Fahrzeuge hat die Erwartungen übertroffen –, spricht zuerst der Organisator der Kundgebung Michael Fröhlin, Kreisverbandsvorsitzender des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbandes (BLHV). „Warum sind wir hier? Gestern waren wir systemrelevant, heute sind wir Klimakiller, das kann doch wohl nicht sein, das versteht kein Landwirt, auch nicht der Hinterletzte. Und aus dem Grund treibt es uns jetzt auf die Straße, denn die Politik weiß jetzt nichts Besseres, als der Landwirtschaft eine Milliarde an Sparplänen anzulasten. So machen wir das nicht mit!“ Applaus brandet auf. Es gehe nicht um den Diesel, sondern um die permanenten Verordnungen der letzten Jahre, das sei einfach zu viel. „Es kann doch nicht sein. Politisch zugesagter Lastenausgleich für dies, für jenes, also, Transformation, Klima, Tierwohl, Bodenschutz, Wasserschutz, Erosion, alles obendrauf und immer wurde zugesagt, kein Problem, ihr werdet dabei unterstützt. Und jetzt sind die Kassen leer. Das Geld ist weg, das Geld geht woanders hin, und wir hier, wir sind alleingelassen, so geht’s nicht“, sagt Michael Fröhlin. Auf diese Weise sei der internationale Wettbewerb nicht zu stemmen. „Der Agrardiesel ist keine Subvention. Da die Dieselsteuer für die Benutzung und den Erhalt von Hauptverkehrsstraßen eingeführt wurde, will man jetzt eine Straßenbenutzungsgebühr von uns, und das dafür, dass wir zu neunzig Prozent auf den Feldern fahren? Nein. Aus dem Grund kann ich nur an die hohe Politik in Berlin appellieren, besinnt euch zur Gesellschaft, besinnt euch zur Landwirtschaft, bevor es zu spät ist. Ihr habt Euch verrannt!“

Kommunen leiden unter denselben Problemen wie die Landwirte

Der nächste Sprecher, der Merzhauser Bürgermeister und ab März designierte Landrat Dr. Christian Ante, betont die Wichtigkeit der lokalen Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln aus ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekten. Die südbadische Raumlandschaft sei, anders als Monokulturen anderswo, kleinteilig geprägt. „Das macht einen Teil der Landschaftspflege und unserer Heimat aus.“ Die Kommunen litten unter denselben Problemen wie die Landwirte: „Finanzielle Vorgaben, überbordende Bürokratie.“ Das Geld fehle, die Bürokratie sei geblieben. Man müsse wieder mehr Freiheit zulassen sowie den Steuerungsanspruch reduzieren. „Mehr Eigenverantwortung, mehr Freiheit, weniger Detailsteuerung.“ Dafür gibt es Applaus. Gegen Ende dann noch mahnende Worte, der Zweck heilige nicht die Mittel. Und: Demokratie sei kein Konsumprodukt. Alle seien aufgefordert, sich stärker in die Kommunalpolitik einzubringen. Zwischenruf: „Die Rede hat doch Steinmeier geschrieben!“ Nein, die habe er schon selber geschrieben, entgegnet Christian Ante.

Politik mitgestalten

Egon Busam, Vizepräsident des BLHV, wirbt dafür, das Eigentumsrecht der Bauern nicht durch Überziehungen zu beschneiden. Weiter habe es auch etwas mit Respekt zu tun, das Streikrecht der Bauern anzuerkennen, alles andere sei unseriös. Auch er betont die Wichtigkeit, sich in die Politik einzubringen. Die Politik müsse von unten zu verstehen kriegen, dass politische Umstellungen von einem Tag auf den anderen, ohne Erklärungen, so wie aktuell häufig geschehen, nicht sein dürften.

Winzer an der Seite der Landwirte

Abschließend spricht Rainer Zeller, Präsident des Badischen Weinbauverbands. „Am Montag hat einer ganz gut gesagt, jetzt ist das Fass übergelaufen, und ich glaube, das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Nicht nur die Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft. Ich glaube, Politik und Gesellschaft sind gefordert, mit uns gemeinsam, mit den Leuten, die dafür sorgen, dass unsere Kulturlandschaften erhalten bleiben, dass unsere wunderschöne Gegend, sei es Markgräflerland, Ortenau oder Kaiserstuhl, dass das erhalten bleibt. Entweder wir finden einen Weg mit der Politik, wir finden einen Weg mit der Gesellschaft. Dann sind wir Landwirte bereit, unsere Arbeit weiterzumachen. Insbesondere die Winzer.“ Schaffe man dies nicht, werde sich die Kulturlandschaft massiv verändern. Das sei die Situation. Dafür brauche man die gemeinsame Unterstützung von Bürgern, Gesellschaft und Politik. Wolle man weiter deutschen Wein trinken, müsse man eine Lösung finden. Dafür brauche es einen offenen und ehrlichen Umgang mit Winzern und Landwirten.

Eine Zukunft für die Jungen

Bevor der offizielle Teil der Veranstaltung beendet ist, folgen noch Wortbeiträge aus dem Publikum. Eine Kartoffelbäuerin und Krankenschwester kritisiert: „Menschen, die den Fingernagel studiert haben, bestimmen über uns. Wir arbeiten mit der ganzen Hand!“ Ein anderer: „Unseren Familienbetrieb gibt es seit 1749, und der soll nicht von dieser Politik kaputtgemacht werden, die offensichtlich andere Interessen hat. Deshalb stehe ich hier!“ Der letzte Redner freut sich über das Engagement der Jungen, die so tatkräftig unterstützen. Ihm sei es wichtig, dass man diesen eine Zukunft bieten könne. Die enormen Summen, die man mittlerweile ausgegeben müsse, führten dazu, dass immer mehr junge Landwirte aufgeben müssten. Dadurch drohe ein „Ausverkauf, wie in der anderen Wirtschaft auch“. Man habe kaum noch Produktion im eigenen Land, sondern es komme alles von außen. „Wir sind bloß noch Marktstand, die Wirtschaft in unserem Land ist am Boden. So können wir nicht weitermachen.“

Jan Schulz-Weiling ist Teilnehmer des Kompaktkurses Bericht an der Freien Akademie für Medien & Journalismus.

Bildquellen: Jan Schulz-Weiling