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Bericht | 19.06.2024
Deutschland in Montana
Der Besuch eines bulgarischen Trödelmarktes als Heim- und Zeitreise – und als Menetekel zwischen Krieg und Frieden
Text: Rumen Milkow
 
 

Montana gibt es nicht nur in Amerika, sondern auch in Bulgarien. Montana ist eine Stadt mit knapp 50.000 Einwohnern im Nordwesten, der ärmsten Region des Landes. Zu sozialistischen Zeiten hieß der Ort Michailovgrad. Seit 1993 heißt er wieder Montana. Einst eine thrakische Siedlung, gehörte das Gebiet später zum Römischen Reich und trug den Namen Municipium Montanensium – oder kurz: Montana.

Wie so vieles umgedreht ist in Bulgarien, allen voran die Kopfbewegungen für JA und NEIN, so ist auch der Termin für den Flohmarkt ein anderer. Finden Flohmärkte in Deutschland in aller Regel am Wochenende statt, so ist der in Montana immer montags, und da auch nur am Vormittag. Bin ich in Bulgarien, und das bin ich in letzter Zeit immer öfter, zieht es mich als Flohmarktliebhaber regelmäßig zum „Bit-Pasar“ nach Montana.

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War der Besuch in der Vergangenheit immer eine Art Heimreise, so wird er seit einiger Zeit immer öfter auch zu einer Zeitreise. Eine Heimreise war er zuvor deswegen, weil häufig Sachen angeboten werden, die in der Heimat auf der Straße liegen. Ich weiß das, weil die Straßen als Berliner Taxifahrer viele Jahre mein Zuhause waren. Spätestens mit Corona hat in der Bundeshauptstadt – auch in Ermangelung einer Kehrwoche – ein wahrer Boom eingesetzt, Dinge einfach auf die Straße zu stellen.

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Die Leute wollen offensichtlich etwas loswerden oder trennen sich von Dingen, von denen sie sich schon immer trennen wollten. Nicht nur in der Bundeshauptstadt wurden die Straßen zu einem wahren Eldorado für Glückssucher unterschiedlichster Couleur. Unter ihnen ehemalige Taxikollegen, deren Geschäfte immer schlechter laufen, aber auch Bulgaren. Seither sehe ich immer mehr Sachen aus Deutschland auf dem Flohmarkt in Montana wieder.

Grüße aus Nürnberg

Aufgesammelt und nach Bulgarien gebracht werden sie unter anderem von Bulgaren, die in Deutschland ein Gewerbe haben. Dies bestätigte mir ein Verkäufer, der seins ganz offiziell in Bayern angemeldet hat. Ist man Selbständiger mit eigenem Gewerbe, darf man auch als Bulgare in Deutschland bleiben. Da der Trick alt ist, darf ich ihn verraten. Außerdem sorgt der Mann für saubere Straßen in der Heimat, wenn er Krimskrams aufsammelt, um diesen auf dem Flohmarkt in Montana zu verkaufen. Fehlen eigentlich nur noch die Menschen aus der Heimat. Ihre Sachen sind jedenfalls schon hier.

Auch die Helme sind schon da

Am Montag war ich erneut auf dem Flohmarkt in Montana. Diesmal wurde aus der Heimreise auch eine Zeitreise, die mit Helmen begann. Der eine oder andere erinnert sich: Am Anfang hat Deutschland Helme in die Ukraine geschickt. Es sind nicht die Helme, die jetzt in Montana angeboten werden. Davon würde ich ausgehen. Immerhin hat nun jeder die Gelegenheit, sich mit einem Helm auszustatten. Auch als ganz persönlicher Beitrag zur möglichen Wiedereinführung der Wehrpflicht, in Bulgarien wurde sie 2008 abgeschafft, aber nicht nur.

„Erste Hilfe" - bevor es zu spät ist

Geht es nach dem Präsidenten des Nachbarlandes Serbien, das gerade einmal 25 Kilometer von Montana entfernt ist, stehen alle Zeichen auf einen großen Krieg. Dafür sprechen auch die Friedensverhandlungen (besser: „Friedensverhandlungen“) in der Schweiz. Die Anführungszeichen, weil Russland nicht eingeladen war. Man stelle sich eine Paartherapie vor, zu der der Partner nicht eingeladen wird. Der „Erfolg“ ist dann garantiert. Frei nach Bertolt Brecht: Die Herrschenden reden von Frieden. Kleiner Mann, mache dein Testament.

Wladimir Wyssozkis „Sons Are Leaving For Battle"

Als nächstes fand ich ein Doppel-Album des russischen Liedermachers, Dichters und Schauspielers Wladimir Wyssozki aus dem Jahre 1986 mit dem Titel „Sons Are Leaving For Battle“. Bald könnten auch die Söhne deutscher Mütter wieder an der Ostfront kämpfen, wenngleich vermutlich nicht die von Strack-Zimmermann, Baerbock, von der Leyen, Faeser & Co. Sie hätten den Vorteil, dass sie nicht wie ich am Montag vor der Entscheidung stehen, ob sie sich einen Helm kaufen sollen oder nicht. Sie könnten so in die Ukraine gehen, ihr Helm ist schon dort.

Wenn ein Mann in der Heimat nun denkt, er könne sein Geschlecht ändern und sich in der Frauensauna vor dem Krieg verstecken, dann muss ich ihn enttäuschen. Im Kriegsfall gilt eine Sonderregelung. Männer müssen auch mit geändertem Geschlechtseintrag an die Front. So will es eine Sonderregelung im Selbstbestimmungsgesetz. Seinen kleinen Joystick, der am Montag in zartem Violett im Angebot war (ebenfalls ein Straßenfund aus Deutschland, wie mir die Verkäuferin versicherte), soll Mann aber mitnehmen dürfen.

„Heiße Zeiten" von Geier Sturzflug

Abgerundet wurde der Flohmarktbesuch in Montana mit einem echten Fundstück: „Heiße Zeiten“ von Geier Sturzflug. Auf der LP aus dem Jahre 1983 ist nicht nur das „Bruttosozialprodukt“, sondern auch der Song „Besuchen Sie Europa, solange es noch steht“. Geier Sturzflug, eine aus Bochum stammende Band der Neuen Deutschen Welle (NDW), hat mit dem Lied auf eine akute Gefahr hingewiesen. Nach dem Nato-Doppelbeschluss zur Stationierung neuer Mittelstreckenraketen mit Atomsprengköpfen in Westeuropa hätte Anfang der Achtziger aus dem kalten Krieg rasch ein heißer werden können.

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Das ist damals zum Glück nicht passiert. Vielleicht ist das der Grund, warum viele Menschen im Westen glauben, dass es auch diesmal gut gehen wird, schließlich ist es bisher noch immer gut gegangen. Sicher: Es ist nicht verkehrt, das Beste zu hoffen. Aber soll man nicht immer auch das Schlimmste erwarten? Ich würde mich zumindest nicht darauf verlassen, dass es auch diesmal ein Happy End gibt. Auch deswegen habe ich als Musik- und Vinylliebhaber bei den Scheiben von Geier Sturzflug und Wladimir Wyssozki zugeschlagen. Zu einem Stahlhelm konnte ich mich nicht durchringen – noch nicht.

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